Der langsame Tanz
stöberst in ihren Sachen, wenn sie nicht im Zimmer ist, entdeckst die Mappe, ich sag dir, wo sie ist, und erträgst ihre Vorwürfe. Hauptsache, du kriegst die rote Mappe.«
»Und was darfs kosten ?«
»Egal. Ganz egal. Ich will sie haben.«
14.
Es dauerte noch einige Zeit, bis sie wieder anfingen. Annes Examensarbeit war fertig, abgegeben und benotet mit einer Drei, was Martin als ungerecht empfand, aber Anne schien es nicht zu kümmern. Er fuhr Doppelschichten, war zwölf und mehr Stunden täglich unterwegs, denn in der Wohnung kam er sich vor wie ein Gast, und sie tat nichts dazu, daß er heimisch werden konnte. Sie ging ein und aus, wie sie wollte, ohne sich zu fragen, was er tat oder ließ. Manchmal kam es ihm vor, als sähe sie ihn überhaupt nicht.
Gerade begann er, ernsthaft darüber nachzudenken, ob er wieder ausziehen sollte und wohin, da fand er eines Morgens, als er müde nach Hause kam, einen Strauß Blumen auf dem Tisch, zwei Gedecke fürs Frühstück und einen Zettel, auf dem stand : bitte weck mich.
Er setzte Kaffee auf, schnitt Brot und kochte zwei Eier.
Dann ging er leise in ihr Zimmer und kitzelte sie mit dem Zeigefinger an der Schulter. Sie schlug die Augen auf, als hätte sie wach gelegen und nur darauf gewartet, und sagte : »Ich würd gern wieder zeichnen.«
*
Die ersten beiden Nachmittage war es wie vorher. Dieselbe Erregung, dieselbe Trance, dasselbe Verschwinden in den Zimmern hinterher, aber dann, am dritten Tag, wollte, trotz der langen Abstinenz, nichts mehr funktionieren. Es war wie beim ersten Mal. Nur daß Martin es diesmal nicht mehr komisch finden konnte. Er schämte sich, als wäre dies eine Liebesnacht, und er hätte versagt.
Unter Annes aufmerksamem Blick zusammengesunken, machte er die Gebärde, die wohl Tausende von Männern, jeden Tag und jede Nacht machen, er hob die Schultern, breitete die Unterarme ein wenig aus und drehte die Handflächen nach oben. Es war ihm peinlich.
Einige Zeit verstrich, und er wollte schon wütend werden, daß Anne nichts unternahm, um seine Enttäuschung zu mildern. Warum sagte sie nicht, »macht doch nichts«, wie Tausende von Frauen, warum kam sie nicht herüber und strich ihm übers Haar ?
Als er aufsah, war ihr Blick starr in seinen Schoß gerichtet, ihre rechte Hand blätterte ein neues Blatt auf, nahm dann den Stift wieder und legte sich wartend auf die Ablage der Staffelei. Die Linke lag in ihrem Schoß und kreiste dort langsam, regelmäßig und ruhig, und die Ruhe wurde hin und wieder unterbrochen durch den Mittelfinger, der alleine stand, wenn sich die anderen Finger zurückbogen, und vorstieß nach unten in den hellen und glänzenden, sich weiter und weiter öffnen-den Spalt, den sie dann, mit zwei Fingern, drei Fingern und endlich der ganzen Hand anfangs streichelte, dann massierte und schließlich mit fast grob erscheinendem Hineinpressen und Krallen, Drehen des Handballens, des Daumens und schließlich der Faust, der flachen Hand, der Knöchel, mit immer neuen Aspekten der Oberfläche ihrer Hand traktierte. Schnell und fiebrig zeichnete sie unterdes, warf die Skizzen eine um die andere weg, und immer, wenn sie ihm befahl, die Position zu ändern, blätterte sie reißend und fahrig um, den Stift für die Sekunde zwischen die Zähne geklemmt, und er gehorchte willfährig und ohne sie ein einziges Mal mißzuverstehen, bis sie sich nach vorne warf, die Stirn an die Staffelei legte mit einem kleinen Klagelaut, der von tief innen aus ihrem Körper zu kommen schien, von daher, wo sich ihre Hand jetzt wie rasend gebärdete, und sie den Stift wegwarf und er die Augen schloß, weil er spürte, daß aus ihm das Fieber, vielleicht sein Leben, oder zumindest für Sekunden das Bewußtsein und sein ganzer Atem schoß.
*
Minutenlang saßen sie schweigend und mit gesenkten Köpfen da und horchten auf die Stille, die nur unterbrochen wurde durch das gelegentliche Knarren einer Diele, wenn sich doch etwas in ihren Körpern rührte und die neue Gewichtsverteilung an den Boden weitergab. Schließlich atmete Anne tief ein, stand auf, kam zu ihm herüber und nahm ihn ohne Umstände in die Arme. Sie legte ihr Gesicht in seine Halsbeuge, störte sich nicht daran, daß ihre Brüste sich an ihn preßten, und schnaubte kleine Küsse auf seine Schulter.
»Oh je«, sagte sie dann irgendwann und löste die Umarmung. Er hatte sich kaum bewegt, nur einen Arm ganz leicht über ihre Taille gelegt und seine Fingerinnenseiten spüren
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