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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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feindlichen Dschungel wieder in die Zivilisation zurückgekehrt bin. Ich habe alles besiegt, wilde Tiere, Fieber, Sümpfe, Mücken, und niemals, wirklich niemals, habe ich aufgehört, an Euch zu denken. Ich liebe Euch von ganzem Herzen. Bis sehr bald.
    Papa.
    Mit siebenundsechzig Jahren war Marcel Grobz endlich ein glücklicher Mann, und von diesem Zustand konnte er gar nicht genug bekommen. Vom Morgengrauen an sprach er Vaterunser, Fürbitten, Tischgebete und Novenen, damit seine Glückseligkeit anhalten möge. Danke, lieber Gott, danke, dass du mich in deine Gnade hüllst, mich mit Glück überschüttest, mir solche Wonnen bescherst, mir Wollust gewährst, mir Wohlbefinden schenkst, mir unendliche Seligkeit gönnst! Danke, danke, danke!
    Das sagte er sich morgens, sobald er einen Fuß auf den Boden stellte. Wiederholte es beim Rasieren vor dem Spiegel. Leierte sein Gebet herunter, wenn er die Hose anzog. Rief Gott und alle Heiligen an, während er sich die Krawatte band, versprach, dem ersten Bettler, dem er auf der Straße begegnete, zehn Euro zu geben, besprühte sich mit Eau de Cologne Impériale von Guerlain, erhöhte seinen Obolus, wenn er den Gürtel schloss, schimpfte sich schließlich einen widerlichen Geizhals und nahm sich schuldbewusst vor, zwei weitere Bettler mit seinen Wohltaten zu beglücken. Immerhin hätte ich genauso gut auf der Straße landen können, wenn ich nicht aus Henriettes Klauen gerettet worden wäre und an Choupettes großzügigem Busen Zuflucht gefunden hätte. Wie viele arme Teufel stolpern, weil sich ihnen keine helfende Hand entgegenstreckt, wenn sie zu fallen drohen?
    Geduscht, rasiert, für den Tag gerüstet, nach Lavendel und Edelraute duftend, betrat er schließlich die Küche, um dem Quell seines Entzückens, der Krone der Weiblichkeit, dem Mount Everest der Sinnlichkeit seine Aufwartung zu machen: Josiane Lambert, seine Lebensgefährtin, genannt Choupette.
    In ein duftiges rosa Negligé gehüllt, stand sie an ihrem emaillierten Aga-Herd und briet Marcels Spiegeleier. Mit gerunzelter Stirn und ernster Miene konzentrierte sie sich auf ihre Aufgabe. Besser als jeder andere verstand sie sich darauf, das Ei in die heiße Pfanne fallen zu lassen, das Eiweiß knusprig braun zu braten, zu warten, bis das Eigelb eine goldene Farbe angenommen hatte, es dann zu zerstechen, das Ganze umzudrehen und erneut knusprig braun zu braten, in letzter Minute mit einem gefühlvollen Schwung einen Spritzer Balsamico-Essig darüberzugeben und die Eier auf den bereits vorgewärmten Teller gleiten zu lassen. Währenddessen bräunten große Scheiben Vollkornbrot mit Leinsamen in einem Magimix-Toaster mit vier chromblitzenden Schlünden. Die gesalzene normannische Butter ruhte in der altmodischen Butterschale, Knochenschinken und Lachskaviar lagen auf einer weißen Servierplatte mit goldenem Rand bereit.
    Dies alles erforderte äußerste Konzentration, auf die Marcel Grobz nur schwer Rücksicht nehmen konnte. Seit kaum zwanzig Minuten von Choupette getrennt, drängte es ihn zu ihr wie einen Hund, der auf der Spur des Hirschen durch das tote Laub schnüffelt und erstarrt, sobald er das Wild in Reichweite wittert. Bei Marcel äußerte sich dieses Erstarren allerdings in einer schwungvollen Umarmung, einem Kniff in ihre Taille und einem dicken Schmatzer auf das Stückchen seidenweicher Haut, das unter ihrem Negligé hervorlugte.
    »Lass mich, Marcel«, murmelte Josiane, den Blick unverwandt auf die Eier gerichtet, die sich gerade in der letzten Phase der Zubereitung befanden.
    Widerstrebend trat er zurück und setzte sich an seinen Platz, wo auf weißem Leinen für ihn gedeckt war. Ein Glas frisch gepresster Orangensaft, ein Fläschchen mit »sechzigPlus«-Vitaminen und eine mit Chinalack überzogene Untertasse mit einem Löffel Kastanienpollen darauf rundeten das Ensemble ab. Seine Augen wurden feucht.
    »So viel Zuwendung, so viel Mühe, so viel Raffinesse! Aber weißt du, was das Beste von allem ist, Choupette? Das Beste ist die Liebe, die du mir schenkst. Ohne sie wäre ich doch nur eine leere Flasche. Die ganze Welt wäre nichts ohne die Liebe. Sie ist die gewaltigste Macht, aber die meisten Menschen ignorieren sie einfach. Diese Trottel kümmern sich lieber um ihr Geld! Dabei ist das Wichtigste im Leben doch die Liebe, die bescheidene, alltägliche Liebe, die du ohne großes Theater deinen Mitmenschen zuteil werden lässt. Sie wärmt das Herz, vertreibt den Schmerz, verlockt zum Scherz, schmilzt

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