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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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Naschkatzenaugen, Grübchen und rundliche Handgelenke. Die ungnädige Pubertät hatte noch nicht begonnen, ihren Körper zu verändern. Joséphine hatte mit der Kinderärztin darüber gesprochen, doch diese hatte sie beruhigt. »Das kommt schon noch, irgendwann ist es so weit, Ihre jüngere Tochter braucht eben etwas länger. Sie lässt sich Zeit. Eines Morgens wird sie aufwachen, und Sie werden sie nicht wiedererkennen. Dann hat sie plötzlich Brüste, verliebt sich und redet nicht mehr mit Ihnen. Seien Sie lieber froh, statt sich Sorgen zu machen! Und vielleicht hat sie ja auch einfach keine Lust, erwachsen zu werden. Ich beobachte immer häufiger Jugendliche, die sich an die Kindheit klammern wie an ihre Lieblingsmarmelade.«
    Die erbarmungslos scharfzüngige Hortense hatte ihre empfindsame kleine Schwester lange mit Geringschätzung behandelt. Die eine bettelte unterwürfig um Zuneigung und Anerkennung, die andere bahnte sich unerbittlich ihren Weg. Zoé, offen und weich. Hortense, undurchschaubar, kompromisslos und hart. Aus meinen beiden Töchtern könnte ich eine perfekte Auster machen. Hortense als Schale und Zoé als das weiche Innere.
    »Fühlst du dich wohl in deinem neuen Zimmer, Liebes?«
    »Ich mag die Wohnung, aber die Leute hier mag ich nicht. Am liebsten würde ich wieder nach Courbevoie zurückgehen. Die Leute hier im Haus sind komisch …«
    »Sie sind nicht komisch, Schatz, sie sind anders.«
    »Warum sind sie anders?«
    »In Courbevoie kanntest du alle, du hattest Freunde auf jeder Etage, es war leicht, miteinander zu reden, jemanden zu treffen. Wir liefen von einer Wohnung in die andere. Ganz zwanglos. Hier sind die Leute …«
    Sie suchte nach dem passenden Wort. Die Müdigkeit machte sie benommen.
    »Förmlicher, vornehmer … nicht so familiär.«
    »Du meinst, sie sind steif und kalt? Wie Leichen?«
    »So hätte ich es nicht ausgedrückt, aber du hast nicht unrecht, Liebes.«
    »Der Mann, den wir im Aufzug gesehen haben, der ist innen drin ganz kalt, das habe ich gespürt. Fast so, als hätte er Schuppen am ganzen Körper, damit niemand ihm zu nahe kommt, als wohnte er ganz allein in seinem Kopf …«
    »Und was ist mit Paul? Findest du den auch steif und kalt?«
    »Oh, nein! Paul …«
    Sie verstummte kurz, ehe sie ganz leise flüsterte: »Paul ist sexy, Maman. Ich wäre gerne mit ihm befreundet.«
    »Aber du wirst dich doch mit ihm anfreunden, Schatz …«
    »Glaubst du, er findet mich sexy?«
    »Immerhin hat er sich mit dir unterhalten, und er hat dir angeboten, dich den van den Brocks vorzustellen. Das bedeutet doch, dass er dich wiedersehen will und dass er dich ganz süß findet.«
    »Bist du sicher? Ich fand, er wirkte nicht besonders interessiert. Jungs interessieren sich einfach nicht für mich. Im Gegensatz zu Hortense, die ist total sexy.«
    »Hortense ist auch vier Jahre älter als du. Warte erst einmal ab, bis du so alt bist, dann wirst du schon sehen!«
    Zoé musterte ihre Mutter nachdenklich, als würde sie ihr gerne glauben, könne sich aber nicht vorstellen, eines Tages genauso schön und verführerisch zu sein wie ihre Schwester. Sie gab auf und seufzte. Schloss die Augen, schmiegte sich an ihr Kissen und rollte das Bein ihres Kuscheltiers zwischen den Fingern.
    »Ich will nicht groß werden, Maman. Wenn du wüsstest, was ich manchmal für eine Angst habe …«
    »Wovor denn?«
    »Ich weiß es nicht. Und das macht mir noch mehr Angst.«
    Dieser Gedanke war so treffend, dass Joséphine erschauerte.
    »Maman … woher weiß man, dass man erwachsen ist?«
    »Wenn man eine sehr wichtige Entscheidung ganz allein treffen kann, ohne jemand anderen um Hilfe zu bitten.«
    »Du bist erwachsen … Du bist sogar sehr, sehr erwachsen!«
    Joséphine hätte ihr gern gesagt, dass sie oft zweifelte, dass sie sich oft auf das Schicksal verließ, den Zufall, das Morgen. Sie traf Entscheidungen instinktiv, versuchte, den Kurs zu korrigieren, wenn sie sich geirrt hatte, oder seufzte erleichtert, wenn ihr Gespür sich als richtig erwies. Aber einen Erfolg schrieb sie jedes Mal dem Zufall zu. Was, wenn man niemals richtig erwachsen wurde?, fragte sie sich, während sie Zoés Nase, ihre Wangen, ihre Stirn, ihre Haare streichelte und lauschte, wie ihr Atem immer gleichmäßiger wurde. Sie blieb an ihrem Bett sitzen, bis Zoé eingeschlafen war, und schöpfte in der beruhigenden Gegenwart ihrer Tochter die Kraft, nicht mehr an das Geschehene zu denken. Dann ging sie in ihr eigenes Zimmer.
    Sie

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