Der langsame Walzer der Schildkroeten
Seelenruhe Plätzchen in ihren Kaffee tunken, wüssten, dass ich vor sechs Monaten selbst fast erstochen worden wäre, dass mein Exmann, der für tot erklärt wurde, weil er angeblich von einem Krokodil gefressen wurde, in der Métro rumfährt, dass mein Exfreund schizophren ist und dass meine Schwester nur darauf wartet, sich Hervé Lefloc-Pignel an den Hals zu werfen, würde ihnen vor Überraschung die Luft wegbleiben …
Iris lag in die weichen Kissen gekuschelt auf dem Sofa, die feingliedrigen, schmalen Füße auf die Armlehne gelegt wie auf das Präsentiertablett eines Juweliers, und las eine Zeitschrift, als Joséphine ins Wohnzimmer kam und sich stöhnend in einen großen Sessel fallen ließ.
»Was für ein Tag! Meine Güte, was für ein Tag! Ich habe noch nie etwas Tristeres gesehen als ein Polizeirevier! Und diese ganzen Fragen! Und diese Capitaine Gallois!«
Sie hatte den Kopf gesenkt und massierte sich beim Reden die Schläfen. Ihre Gliedmaßen waren vor Müdigkeit bleischwer. Iris ließ kurz die Zeitschrift sinken und warf einen Blick auf ihre Schwester, ehe sie ihre Lektüre wiederaufnahm und beiläufig murmelte: »Du siehst etwas mitgenommen aus.«
»Ich habe mit Hervé Lefloc-Pignel einen Minzsirup getrunken …«, erwiderte Joséphine pikiert.
Mit einem Ruck knallte Iris die Zeitschrift auf ihren Schoß.
»Hat er etwas über mich gesagt?«
»Kein Wort.«
»Er hat sich nicht getraut …«
»Dieser Mann ist merkwürdig. Man weiß nie, woran man bei ihm ist. Erst butterweich, dann steinhart, erst zuckersüß, dann sauer …«
»Sauer?«, wiederholte Iris mit hochgezogenen Augenbrauen. »Habt ihr euch gestritten?«
»Nein. Aber er ist die reinste Wechseldusche! Er sagt dir etwas Nettes, und im nächsten Augenblick ist er kalt wie ein Gletscher …«
»Wahrscheinlich hast du dich wieder als armes Opfer hingestellt.«
Auf diese kategorische Feststellung war Joséphine nicht gefasst.
»Was soll das heißen, ›mich als armes Opfer hingestellt‹?«, begehrte sie auf.
»Ja, du merkst das selbst gar nicht, aber du machst immer auf hilfloses kleines Mäuschen, um bei Männern den Beschützerinstinkt zu wecken. Das kann unglaublich nervig sein. Ich habe gesehen, wie du diese Masche auch bei Philippe abgezogen hast.«
Joséphine lauschte wie betäubt. Es war, als erzählte man ihr von einer Fremden.
»Welche Masche habe ich bei Philippe abgezogen?«
»Du hast das arme, kleine Naivchen gespielt, das nichts kann und nichts weiß. Das ist offenbar deine Strategie bei Männern …«
Sie streckte sich, gähnte, ließ ihre Zeitschrift auf den Boden gleiten. Dann drehte sie sich zu Joséphine um und verkündete beiläufig: »Ach, übrigens … Unsere liebe Mutter hat angerufen, sie müsste jeden Moment hier sein.«
»Hier?«, schrie Joséphine.
»Sie stirbt fast vor Neugier, zu sehen, wo du wohnst!«
»Du hättest mich wenigstens vorher fragen können!«
»Ach was, Jo, es wird Zeit, dass ihr euch endlich wieder versöhnt. Sie ist alt, sie lebt allein. Sie hat niemanden mehr, um den sie sich kümmern kann …«
»Sie hat sich doch noch nie um einen anderen Menschen gekümmert außer sich selbst!«
»Ihr habt schon viel zu lange nicht mehr miteinander geredet!«
»Drei Jahre, und es geht mir blendend damit!«
»Sie ist die Großmutter deiner Töchter …«
»Na und?«
»Ich finde, in einer Familie sollte man sich vertragen.«
»Warum hast du sie eingeladen? Los, sag schon!«
»Ich weiß es nicht. Sie hat mir leid getan. Sie wirkte deprimiert, traurig.«
»Iris, das hier ist mein Zuhause. Ich entscheide, wen ich einlade!«
»Aber sie ist doch deine Mutter, nicht irgendeine Fremde!«
Iris machte eine kurze Pause und sah Joséphine tief in die Augen.
»Wovor hast du Angst, Jo?«
»Ich habe keine Angst. Ich will sie nicht sehen. Und hör auf, mich so anzusehen! Das funktioniert nicht mehr! Du kannst mich nicht mehr hypnotisieren.«
»Du hast Angst … Du stirbst vor Angst …«
»Ich habe sie seit drei Jahren nicht mehr gesehen, und ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie heute Abend herkommt! Das ist alles. Ich hatte einen anstrengenden Tag, da brauche ich nicht auch noch so etwas.«
Iris setzte sich auf, glättete ihren Rock, der sich eng wie ein Korsett um ihre Taille schloss, und verkündete: »Sie isst heute mit uns zu Abend.«
»Sie isst heute mit uns zu Abend«, wiederholte Joséphine, wie vor den Kopf geschlagen.
»Es wird auch höchste Zeit, dass ich einkaufen gehe. Dein
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