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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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Ich habe seinen Vater gewarnt, dass ich um ihn kämpfen werde …«
    »Ich helfe Ihnen dabei, wenn Sie möchten. Ich werde einen guten Anwalt für Sie finden.«
    »Sie sind sehr freundlich …«
    »Das ist doch selbstverständlich. Man darf ein Kind nicht von seiner Mutter trennen. Niemals!«
    »Das sieht mein Mann leider anders …«
    Sie goss das Wasser auf die Blätter und trug das Tablett ins Wohnzimmer. Schenkte ein und reichte ihm eine Tasse. Er hob den Kopf und schaute sie an.
    »Sie haben sehr blaue, sehr große, sehr weit auseinanderstehende Augen …«
    »Als ich noch klein war, fand ich es schrecklich, dass meine Augen so weit auseinanderstanden.«
    »Sie waren gewiss ein sehr hübsches kleines Mädchen.«
    »Aber so unsicher!«
    »Sie müssen schnell selbstsicherer geworden sein …«
    »Eine Frau ist sich ihrer selbst nur dann sicher, wenn sie geliebt wird. Ich gehöre nicht zu diesen emanzipierten Frauen, die ohne den Blick eines Mannes leben können.«
    Iris hatte alle Selbstachtung, allen Stolz, jedes Gefühl dafür, sich lächerlich zu machen, über Bord geworfen. Sie war nur noch Strategie: Hervé Lefloc-Pignel musste ihr ins Netz gehen. Er war attraktiv, reich, klug, der perfekte Fang. Sie musste ihn verführen. Sie war einsichtig genug, um zu wissen, dass sie ihre letzten Trümpfe ausspielte, und so schoss sie verzweifelt ihre Harpunen auf Hervé Lefloc-Pignels Herz ab, umgarnte ihn mit einem Schmollmund, einer liebreizenden Miene, einem Blick. Es war ihr egal, dass er eine Frau und drei Kinder hatte. Was ist denn schon dabei? Heutzutage lassen sich doch alle scheiden, er wäre garantiert der Einzige, der bei einer Frau bleiben wollte, die den ganzen Tag im Morgenmantel herumläuft. Es ist ja nicht so, als brächte ich ein glückliches Paar auseinander! Sie war bereit, die Kinder zu sich zu nehmen. Sie war die Frau, die er brauchte. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sich eingeredet, dass sie ihm einen Gefallen tat, indem sie sich ihm an den Hals warf.
    Er saß ihr gegenüber und betrachtete sie mit einer kindlichen Ergebenheit. Was für ein merkwürdiger Mann! Wie schnell sich sein Blick verändert! Vom Raubtier wird er zum zitternden Kind. In seiner Haltung lag eine furchtsame Hingabe, als dürfte er sie nur aus der Ferne ansehen, als sei es ihm verboten, ihr zu nahe zu kommen. Unter dem grauen Anzug des Bankers entdeckte sie einen anderen, sehr viel anrührenderen Mann.
    »Wir sind nicht sehr gesprächig«, sagte sie lächelnd.
    »Ich rede den ganzen Tag, da ist es sehr erholsam, einmal nichts zu sagen. Ich schaue Sie an, und das genügt mir …«
    Iris seufzte und brannte diesen Satz in ihr Gedächtnis ein. Sie hatten einen gemeinsamen Schritt gemacht, einen behutsamen Sprung in eine künftige Vertrautheit. Ihr schien, als sollten alle Qualen, die sie im vergangenen Jahr durchlitten hatte, ausgelöscht werden, wiedergutgemacht durch diesen starken, empfindsamen Mann.
    Sie stellte das Radio lauter und bot ihm noch etwas Pfefferminztee an. Er hielt ihr seine Tasse hin. Sie schenkte ihm ein. Dabei ließ sie ihre Hand einen Moment dicht neben der seinen schweben, weil sie hoffte, er würde danach greifen, und streifte den Ärmel seines Jacketts fast wie in einer Liebkosung. Doch er rührte sich nicht.
    Etwas Herrisches lag in seiner Haltung und verriet, dass er es gewöhnt war, dass man ihm gehorchte. Iris war das ganz recht. Was soll ich mit einem Schönling oder einem Schürzenjäger, der der erstbesten Frau nachjagt? Ich brauche einen seriösen Mann, und wer wäre das eher als er? Er hat sicher schon den Wunsch verspürt, seine blasse Frau zu verlassen, aber sein Pflichtbewusstsein hat gesiegt. Er gehört zu den Männern, denen man die Initiative überlassen muss. Die man nicht drängen darf, sondern behutsam dorthin führen muss, wo man sie haben will. Die Zügel locker lassen, aber nicht aus der Hand geben.
    Ich muss ihm begreiflich machen, dass er nicht länger bei seiner Frau bleiben kann. Das schadet seinem gesellschaftlichen Ansehen und seiner Karriere. Ich muss ihm neues Selbstvertrauen geben, ihm helfen, wieder einen Platz an der Spitze einzunehmen.
    Und so wandelte sich Iris von der Frau, die einer anderen den Mann stahl, zur Muse und Ratgeberin. Behände schlüpfte sie in diese neue Rolle und lächelte zuversichtlich in die Zukunft.
    Sie hörten die Elfuhrnachrichten im Radio. Schauten einander an, verwundert darüber, dass schon so viel Zeit vergangen war. Sie sprachen kein Wort.

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