Der langsame Walzer der Schildkroeten
überhaupt erst auf mich gebracht. Sie war gleich bei unserer ersten Begegnung von mir genervt. Ich habe diese Wirkung auf manche Leute: Sie finden mich von Anfang an trantütig, träge, sogar geistlos. Oder hat ihr mein Buch nicht gefallen? Vielleicht wäre sie selbst gerne Schriftstellerin, aber drei ihrer Manuskripte wurden schon abgelehnt. Sie hat sich gefragt, warum die und nicht ich? 2H -Spur nachgehen. 2H -Spur nachgehen.
Sie schrieb das Kürzel auf einen Notizblock. 2H , 2H , 2H … Zwei Häuser? Zwei Hunde? Zwei Hirngespinste? Zoé steckte den Kopf zur Tür herein und betrachtete ihre Mutter besorgt.
»Was machst du, Maman?«
»Ich arbeite …«
»Wirklich?«
»Nein, ich kritzele nur so rum …«, gestand Joséphine. Sie war das fruchtlose Kreisen ihrer Gedanken leid.
»Darf ich mal sehen?«, bat Zoé leise.
»Ach, das ist nichts Besonderes …«
Zoé hatte sich auf die Armlehne des Stuhls gesetzt. Joséphine reichte ihr das mit 2H übersäte Blatt und überlegte, was sie antworten sollte, falls Zoé sie nach der Bedeutung des Kürzels fragte. Sie wollte nicht mit ihr über die Ermittlungen reden.
Doch ihre Sorge war unbegründet. »Ach …«, sagte Zoé enttäuscht und ließ das Blatt sinken. »Das ist ja wirklich nur Gekritzel.«
Sie kuschelte sich an Joséphine, schlang die Arme um ihren Hals und drückte dabei ihren kleinen runden Bauch heraus. Zoé war in dem Alter, in dem man innerhalb eines Augenblicks von der Frau wieder zum Kind wird, wo man von einem Jungen einen Kuss fordert und von seiner Mutter eine Streicheleinheit. Joséphine fiel es schwer, sie sich in Gaétans Armen vorzustellen, auch wenn ihre Zärtlichkeiten wohl noch sehr unschuldig waren. Sie drückte Zoé an sich.
»Du bist die schönste Maman auf der ganzen Welt!«
»Und du wirst immer mein kleines Mädchen sein!«
»Ich bin kein kleines Mädchen mehr! Ich bin fast erwachsen …«
»Das weiß ich, aber für mich bleibst du trotzdem immer mein kleines Mädchen.«
Sie vergrub das Gesicht im Haar ihrer Tochter, schloss die Augen, roch den Duft ihres Vanille-Shampoos und der Seife mit grünem Tee.
»Du riechst gut. Am liebsten würde ich dich auffressen …«
»Mir ist langweilig, M’man …«
»Wo ist denn Hortense?«
»Bei Marcel. Sie wollte nicht, dass ich mitgehe! Sie hat gesagt, sie muss mit ihm unter vier Augen reden. Über Mylène …«
»Und jetzt weißt du nicht, was du machen sollst …«
»Mach doch mal eine Pause, M’man, dann können wir mit Du Guesclin spazieren gehen.«
Joséphine spürte, wie sich Zoés Körper immer hingebungsvoller an sie schmiegte, und sie wünschte sich nichts mehr, als ihr eine Freude zu machen. Also schob sie ihre Unterlagen von sich und stand auf.
»Einverstanden, mein Schatz.«
»Aber nur wir beide. Iris nehmen wir nicht mit!«
Joséphine lächelte.
»Glaubst du ernsthaft, sie hätte Lust, mit einem hinkenden Hund um den See zu laufen?«
»Die doch nicht! Die säuselt lieber mit dem schönen Hervé herum … Glauben Sie wirklich, Hervé? Ach, wissen Sie, Hervé … Sagen Sie, Hervé, wo Sie doch ein so unglaublich attraktiver Hervé sind … Ich kann es kaum erwarten, Sie wiederzusehen, Hervé!«
Benommen ließ sich Joséphine zurück auf den Stuhl fallen.
»Was hast du gerade gesagt?«
»Äh … nichts.«
»Doch. Wiederhole, was du gerade gesagt hast!«, bat Joséphine mit zitternder Stimme.
»Sie stolziert lieber mit dem schönen Hervé durch die Gegend! Lefloc-Pignel, wenn du das vorziehst! Sie glaubt, er wird sich scheiden lassen und sie dann heiraten. Ich finde das nicht gut, weißt du. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Ich bin ja nicht gerade ein Fan von ihm, aber trotzdem … Ich finde so was nicht gut.«
Zoé redete weiter, aber Joséphine hörte ihr nicht mehr zu. 2H . Zwei Hervés. Was, wenn Capitaine Gallois Hervé Lefloc-Pignel und Hervé van den Brock gemeint hatte?
Die Spur der beiden Hervés. Sie hatte etwas herausgefunden oder war kurz davor gewesen, etwas herauszufinden, als sie erstochen wurde. Joséphine erinnerte sich plötzlich daran, wie aufgewühlt Lefloc-Pignel gewesen war, als sie ihn bei seinem Vornamen hatte nennen wollen. Im Straßencafé gegenüber dem Polizeirevier, kurz nach ihrer ersten Vernehmung. Er war von einer Sekunde auf die andere wie ausgewechselt: feindselig und eiskalt.
»O Gott! O mein Gott!«, murmelte sie, auf ihrem Stuhl zusammengesunken.
»Was hast du denn, M’man?«
Sie musste unbedingt mit Inspecteur
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