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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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Freude nicht anmerken zu lassen.
    »Eine gute Idee, glaub mir …«, wiederholte Iris und bewegte die Zeitung wie einen schlaffen Palmzweig.
    Erfreut über ihre geglückte Scheinheiligkeit, wechselten die Schwestern einen Blick. Ließen den feinen Schweiß auf ihrer Haut trocknen, lauschten zerstreut den Worten eines Radiomoderators, der aus dem Leben der großen Seefahrer berichtete, und versanken wieder in ihre Träumereien. Morgen sehe ich ihn wieder!, dachte die eine, wird er dort sein?, fragte sich die andere. Und ich werde mich ihm zu Füßen werfen, sagte sich die eine, ich werde mich auf ihn stürzen und die Arme um seinen Hals schlingen, die andere. Mein Schweigen wird für mich sprechen und die vergangenen Wutanfälle vergessen machen, beruhigte sich die eine, aber was, wenn er eine Begleiterin mitgebracht hatte, eine Dottie Doolittle?, erschauerte die andere.
    Unfähig, diese Vorstellung länger zu ertragen, erhob sich Joséphine. Räumte die Tassen, die Marmelade, die Reste des Frühstücks weg. Aber natürlich! Er wird nicht allein dort sein! Was war ihr bloß in den Sinn gekommen? Als gäbe es nur mich in seinem Leben! Sie versuchte ihre Hände, ihre Gedanken zu beschäftigen, sie abzulenken von dieser fürchterlichen Möglichkeit, als sie plötzlich, erst gedämpft, dann immer lauter, aus dem Radio Strangers in the Night hörte, bis das Lied wie eine Fanfare in ihrem Kopf widerhallte: Doch, er ist da, und ja doch, sicher ist er allein, er wartet nur auf dich … Sie drückte die Eistee-Karaffe an sich, deutete heimlich unter dem Tisch zwei Tanzschritte an, exchanging glances, lovers at first sight, in love forever, dooby-dooby-doo … und fragte mit gesenktem Kopf: »Und wenn ich jetzt sofort fahren würde? Wäre das für dich in Ordnung?«
    »Jetzt sofort?«, wiederholte Iris verwundert.
    Sie sah ihre Schwester an, die, entschlossen und ungeduldig, den Teekrug so fest umklammerte, dass er zu zerbrechen drohte. Iris gab vor, noch einen Moment zu zögern, dann nickte sie.
    »Wenn du möchtest. Aber fahr vorsichtig. Vergiss nicht die Turbulenzen aus deinem Horoskop!«
    Innerhalb von zehn Minuten packte Joséphine ihre Tasche, warf alles hinein, was ihr unter die Finger kam. Wird er da sein? Er wird da sein. Wird er da sein? Sie setzte sich aufs Bett, um ihr wie rasend hämmerndes Herz zu beruhigen, seufzte, schaufelte erneut Kleider in ihre Tasche, strich flüchtig über ihren Laptop, dachte daran, ihn mitzunehmen, nein, nein, er wird da sein, ich bin mir sicher, dooby-dooby-doo … Stürmte in die Küche, um sich von Iris zu verabschieden, prallte mit der Schulter gegen die Wand, schrie auf, rief mit schmerzverzerrtem Gesicht: »Ich ruf dich an, sobald ich da bin, pass auf dich auf«, ich sollte noch andere Schuhe einpacken, um am Strand spazieren zu gehen, meine Schlüssel, wo sind meine Schlüssel? Drückte den Aufzugknopf. Und der Hund? Du Guesclin, wo ist sein Napf, sein Kissen? Habe ich auch alles?, fragte sie sich und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, um die langsame Fahrt des Aufzugs zu beschleunigen, der im zweiten Stock anhielt. Der kleine van den Brock, wie hieß er noch gleich? Sébastien? Ja, genau, Sébastien betrat, eine große Reisetasche hinter sich herschleifend, den Aufzug. Sein blondes Haar stand in kurzen, goldenen Büscheln vom Kopf ab, seine Wangen und Arme waren braun gebrannt, die Wimpern über seinen ernsten Augen von der Sonne gebleicht.
    »Fährst du in Urlaub?«, fragte Joséphine, bereit, jedes nur erdenkliche menschliche Wesen mit der Liebe zu überschütten, die in ihrem Herzen anschwoll und überzulaufen drohte.
    »Wir fahren weiter«, korrigierte sie der Junge im pingeligen Ton eines Abteilungsleiters.
    »Ach so … Und wo wart ihr bis jetzt?«
    »Auf Belle-Île.«
    »Wart ihr bei den Lefloc-Pignels?«
    »Ja. Eine Woche.«
    »Und hattest du eine schöne Zeit?«
    »Wir haben Garnelen gefischt …«
    »Wie geht es Gaétan?«
    »Ihm geht’s gut, aber Domitille ist bestraft worden. Eine Woche Zimmerarrest bei Wasser und Brot …«
    »Oh!«, rief Joséphine. »Was hatte sie denn Schreckliches getan?«
    »Ihr Vater hat sie dabei erwischt, wie sie mit einem Jungen rumgeknutscht hat. Sie ist ja noch nicht mal dreizehn, wissen Sie«, erklärte er missbilligend, als wollte er Domitilles Unverfrorenheit noch betonen. »Sie tut immer so, als wäre sie schon älter, aber ich weiß, wie alt sie ist.«
    Im Erdgeschoss schob er die große Tasche vor sich aus dem Aufzug.

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