Der langsame Walzer der Schildkroeten
vorteilhafter wirken als in ihren gewöhnlichen bürgerlichen Kleidern. Und sie trauen den Frauen einen so schlechten und verderbten Geschmack zu, dass sie sich tatsächlich einbilden, sie fielen auf eine Bärenfellmütze und den goldbetressten Waffenrock eines Militärs herein …‹ Siehst du, Du Guesclin, darin liegt Balzacs ganze Kunst, er beschreibt uns die Kleidung eines Mannes, und wir blicken in seine Seele! Details, eine Fülle von Details! Aber um Details zu sammeln, muss man sich Zeit lassen, damit man irgendwo ein Wort, ein Bild, eine Idee aufstöbert. Heutzutage schreibt niemand mehr wie Balzac, weil sich niemand mehr Zeit lässt. Man schreibt ›das riecht gut‹, ›das Wetter ist schön‹, ›es ist kalt‹, ›er ist gut angezogen‹, ohne jene kleinen Wörtchen zu suchen, die wie angegossen passen und indirekt anzeigen, dass das Wetter schön ist, dass etwas gut riecht oder dass ein Mann schneidig aussieht.«
Sie ließ das Buch sinken und dachte nach. Vielleicht hätte ich Garibaldi von Luca erzählen sollen. Er hätte ihn auf die Liste seiner Verdächtigen gesetzt. Das war ein Fehler. Ich habe mich über ihn geärgert und deswegen den Gefährlichsten von allen verschwiegen! Sie zog die Decke hoch, strich die rosa Mohairfasern glatt und versenkte sich erneut in ihr Buch. Wieder wurde sie durch ein Piepen unterbrochen. Eine dritte SMS .
Ich weiß, wo Sie sind, Joséphine. Antworten Sie mir.
Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Was, wenn er die Wahrheit sagte?
Sie versuchte, Iris zu erreichen. Vergeblich. Sie war sicher mit dem schönen Hervé essen gegangen. Sie vergewisserte sich, dass alle Türen verschlossen waren. Die großen Panoramafenster waren aus einbruchsicherem Glas. Aber was, wenn er über das Dach kam? Überall sind Löcher. Er braucht nur an der Fassade hochzuklettern und über einen Balkon zu steigen. Ich blase lieber die Kerze aus. Dann sieht er nicht, dass ich da bin. Ja, aber … er wird das zerquetschte Auto unter dem Baum sehen.
Es folgte ein wahrer Hagel von SMS . »Ich bin auf dem Weg zu Ihnen, ich bin gleich da«, »Antworten Sie, Sie machen mich wahnsinnig!«, »So leicht kommen Sie mir nicht davon«, »Ich bin gleich da, und dann spielen Sie nicht mehr die Stolze«, »Schlampe, blöde Schlampe!«, »Ich bin in Touques«. In Touques! Aufgeschreckt sah sie zu Du Guesclin hinüber, der sich nicht rührte. Er hatte den Kopf auf seine Pfoten gelegt und wartete darauf, dass sie weiterlas oder noch einen Becher Eis öffnete. Sie rannte ans Fenster und starrte hinaus in den dunklen Park. Seine Concierge muss ihm verraten haben, dass ich da war, er hat Angst, ich könnte in der gesamten akademischen Welt herumposaunen, dass er dieser lächerliche Mann ist, der in Unterhosen auf Plakatwänden posiert. Oder er weiß, dass ich mehrmals mit Garibaldi gesprochen habe …
Ich rufe Garibaldi an …
Ich habe nur seine Büronummer …
Erneut versuchte sie, Iris zu erreichen. Sie hörte die Ansage des Anrufbeantworters.
Wieder ein Piepen. Eine weitere Nachricht.
Der Park ist schön, das Meer so nah. Gehen Sie ans Fenster, dann sehen Sie mich. Machen Sie sich bereit.
Sie ging ans Fenster, stützte sich zitternd auf die Fensterbank und warf einen Blick hinaus. Die Nacht war so dunkel, dass sie nur Schemen erkennen konnte, die sich im Wind bewegten. Sich neigende Bäume, abbrechende Äste, Blätter die, von einem Windstoß abgerissen, wirbelnd zu Boden fielen … Sie wurden alle erstochen. Mitten ins Herz. Eine Hand legt sich um ihren Hals, drückt zu, hält sie fest wie in einem Schraubstock, während die andere mit dem Messer zustößt. An dem Abend, als ich überfallen wurde, wollte er mit mir sprechen. »Ich muss mit Ihnen reden, Joséphine, es ist wichtig.« Er wollte mir alles gestehen, doch dann hat ihn der Mut verlassen, und er hat es vorgezogen, mich auszuschalten. Er hat mich liegen lassen, weil er glaubte, ich sei tot. Zwei Tage lang hat er nicht angerufen. Ich hatte ihm dreimal auf die Mailbox gesprochen. Er antwortete nicht. Und dann seine Gleichgültigkeit, als wir uns am See getroffen haben. Seine kühle Reaktion, als ich ihm von dem Überfall erzählte. Er hat sich gefragt, wie ich das überleben konnte … Das war das Einzige, was ihn beschäftigte. Aber das ergibt doch keinen Sinn! Madame Berthier, die Bassonnière, die junge Kellnerin? Sie kannten ihn nicht. Was weißt du denn schon? Was weißt du über sein Leben? Die Bassonnière wusste mehr darüber als du.
Sie
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