Der langsame Walzer der Schildkroeten
seufzte »Ja, Herr«.
Er versetzte ihr einen Hieb mit der Gerte.
»Ich habe nichts gehört!«
»Ja, Herr!«, schrie sie, und Tränen fielen auf ihre Brust.
Er griff nach ihrem Gebetbuch, blätterte darin, fand eine Stelle, die ihm zuzusagen schien.
»Das ist ein Auszug aus der Nachfolge Christi . Die Überschrift lautet Dass man den Versuchungen widerstehen soll . Sie konnten Versuchungen noch nie widerstehen. Dieser Text wird es Sie lehren.«
Er räusperte sich und begann zu lesen:
»Solange wir in der Welt leben, können wir nicht ohne Trübsal und Versuchung sein. Bei Hiob heißt es: ›Eine Versuchung ist das menschliche Leben auf Erden.‹ Darum sollte ein jeder Acht haben auf seine Versuchungen und wachen im Gebete, damit der Teufel keine Gelegenheit habe, ihn zu täuschen; denn der Teufel schläft nie, sondern ›geht umher und sucht, wen er verschlinge‹. Niemand ist so vollkommen und heilig, dass er nicht zuweilen in Versuchung geriete, und ganz ohne sie können wir nicht sein. Es gibt Versuchungen, die dem Menschen oft sehr von Nutzen sind, mögen sie noch so drückend und beschwerlich sein, weil in ihnen der Mensch gedemütigt, geläutert und erzogen wird. Alle Heiligen sind durch Trübsal und Versuchungen gegangen und sind daran gewachsen …«
So las er noch eine Weile mit monotone Stimme weiter, dann legte er das Buch auf die Bettdecke und sagte: »Ich will Sie das heute Abend, wenn ich zu Ihnen hochkomme, aufsagen hören, und zwar mit aller verlangten Demut und Sorgfalt.«
»Ja, Herr.«
»Küssen Sie die Hand des Herrn!«
Sie küsste seine Hand.
Er drehte sich auf dem Absatz um und ließ sie, überwältigt von Hunger und Schmerz, reglos unter den weißen Laken zurück. Sie weinte lange mit weit geöffneten Augen, ohne sich zu rühren, ohne aufzubegehren, die Arme an den Körper angelegt, die Hände offen auf der Decke. Sie hatte keine Kraft mehr.
»Jo! Die Tür ist blockiert. Ich kann sie nicht öffnen!«
»Philippe … Bist du das?«
Er hatte die Scheinwerfer seines Wagens angelassen, aber in der finsteren Nacht war sie sich nicht sicher, ihn auch wirklich zu erkennen.
»Hast du dich eingeschlossen?«
»Oh, Philippe! Ich hatte solche Angst! Ich dachte …«
»Jo! Versuch, mir aufzumachen …«
»Sag mir, dass du es bist …«
»Warum? Erwartest du jemand anderen? Komme ich ungelegen?«
Er lachte leise. Erleichtert atmete sie auf. Er war es tatsächlich. Sie stürzte zur Tür und versuchte, sie zu öffnen. Aber sie bewegte sich nicht.
»Philippe! Es hat so viel geregnet, dass der Rahmen aufgequollen ist! Als ich angekommen bin, war es so kalt, und ich habe die Heizung aufgedreht, da hat sich bestimmt das Holz verzogen …«
»Nein, das ist nicht der Grund …«
»Doch, glaub mir. Außerdem hört es gar nicht mehr auf zu regnen!«
»Es liegt daran, dass ich alle Türen und Fenster habe austauschen lassen. Überall zog es rein, und ich hatte es satt, den Garten zu heizen! Sie sind noch etwas verklebt … Man muss etwas stärker ziehen …«
»Aber ich bin doch auch problemlos reingekommen!«
»Dann hat es sich eben wieder festgesetzt, als du die Heizung aufgedreht hast! Versuch es weiter …«
Joséphine gehorchte. Sie vergewisserte sich, dass nicht abgeschlossen war, und versuchte erneut, die Tür zu öffnen.
»Ich schaffe es nicht!«
»Ja, anfangs ist es immer schwer … Warte, ich sehe nach, ob ich einen anderen Weg finde …«
Er musste von der Tür zurückgetreten sein, denn seine Stimme klang plötzlich weiter entfernt.
»Philippe! Ich habe Angst! Ich habe mehrere SMS von Luca bekommen, er ist auf dem Weg hierher, er wird mich umbringen!«
»Ach was … Ich bin doch da, dir kann nichts passieren!«
Sie hörte seine Schritte auf dem Kies, er ging am Haus entlang und suchte eine Möglichkeit hereinzukommen.
»Ich habe überall einbruchsichere Fenster und Türen anbringen lassen, es gibt nicht einen einzigen Zugang! Dieses Haus ist der reinste Tresor …«
»Philippe! Er ist auf dem Weg hierher«, wiederholte Joséphine, außer sich vor Angst. »Er hat die ganzen Frauen erstochen, das weiß ich jetzt! Er ist der Mörder!«
»Dein früherer Verehrer?«, fragte Philippe. Er wirkte belustigt.
»Ja, ich erkläre es dir später, es ist kompliziert. Es ist wie bei diesen russischen Puppen, da stecken ganz viele Geschichten ineinander, aber ich bin mir sicher, dass er es war …«
»Nicht doch! Du ängstigst dich völlig umsonst! Warum sollte er denn hierherkommen? Geh
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