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Der Lauf-Gourmet

Titel: Der Lauf-Gourmet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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Uhr
Stolz - seit dem Mittag nichts
gegessen außer einer fingernagel-
dünnen Scheibe Schwarzwälder
Kirschtorte.
Jetzt erst mal ein Käsebrot
(Kohlenhydrate fürs angedachte
Training).
Getrunken:
0,5 l stilles Wasser, mit Zitronensaft.
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Oh Stuttgart, du heiße Hexe
    Der Berliner läuft gern in Berlin. Denn dort gibt es viele Berliner. Das ist gut, denn der Berliner mag kein Gehetze. Achim Achilles aber liebt Herausforderungen. Deshalb startete er in Stuttgart. Unter unmenschlichen Wetterbedingungen.
     
     
    Stuttgart ist ja die Sporthauptstadt der Republik. In Schwaben sind Kompetenz, VfB und Jubel zu Hause. Jürgen Klinsmann stammt von hier, Dieter Baumann und Volker Kauder. Die Stuttgarter haben unserer WM-Elf zum dritten Platz 2006 einen sensationellen Empfang beschert. Historiker wissen: Rad- und Leichtathletik-WM in Stuttgart, das waren legendäre Partys. Das Publikum ist das beste der Welt, was daran liegt, dass etwa ein Viertel der Stuttgarter hauptberufliche Jubelkräfte sind, die die Stadt auf Kommando in Hochstimmung versetzen. Zwischen den Großveranstaltungen werden diese Profijubler ins künstliche Koma befördert. Das spart Unterhalt, hält die Arbeitslosigkeit niedrig und erklärt die nächtliche Grabesstille.
    Stuttgart, das ist Leischtung und Begeischterung, und der hiesige Halbmarathon die brutalschte Prüfung für den Läufer und sein Kühlungsvermögen. Hitzeschlacht. Jedes Jahr ein Toter, mindestens. Läufer leiden. Menschen jubeln. Oh Stuttgart, du heiße Hexe. Schon am Tag zuvor flirrt schwäbischer Ehrgeiz durch die Stadt. An der U-Bahn-Station »Rathaus« betrachtet eine Gruppe Viertklässler interessiert eine große Reklame für die Männerzeitschrift Penthouse , während eine hochnervöse Mutter letzte Instruktionen für den Kinderlauf verteilt.
    Stuttgarter Mütter sind vor allem praktisch orientiert: kompakt gebaut wie die neue B-Klasse, tragen sie die pflegeleichte Gardinenfrisur von Mireille Mathieu und dazu hocherotische Teva-Sandalen. »Verlasset den Zielbereich nicht ohne Medaille«,
befiehlt die Schwaben-Mireille und prüft den Sitz der Startnummern. »Auch der Hundertschte kann noch Sieger sein, isch ja Einzelzeitmessung.« Mutti deutet auf den Chip an den Kinderfüßen. »Ihr müsset taktisch klug laufen.« Die Kleinen machen sich fast in die Hose vor Angst. Ich auch.
    Leistungswillen ist dem Berliner unheimlich. Und es wird noch schlimmer. »Die Strecke isch Mischt«, sagt die Startnummernfee bei der Anmeldung, »kein Schatten, viele Anstiege.« Na prima. Perfekte Panikmache auch vom Ernährungsexperten Feil. Er rät beim Gesundheitssymposium zur Extraportion Backpulver, für den Natriumhaushalt. Mischt! Woher am Samstagabend Backpulver kriegen? Ich tröste mich mit Schwaben-Epo: der Maultasche. Die hat den Dieter auch schnell gemacht. Gibt es eigentlich Zahnpasta mit Maultaschengeschmack?
    Unruhige Nacht. Tonnen von Mineralstoffen in Stuttgarts nächtlicher Schwüle austranspiriert. Wilde Träume von Backpulver, durch gerollte Startnummern konsumiert. Schwitzend zum Start. Ich höre im Dixiklo, wie der Dieter sein taktisches Konzept erklärt: die ersten zehn Kilometer mit Gefühl, dann fünf verhalten und »den Rescht volle Kischte«. Die Stuttgarter Dixis sind eine zartorange Zierde des öffentlichen Sanitärwesens.
    Der Einpeitscher weist noch einmal drohend auf den alljährlichen Todesfall hin. Seien wir ehrlich: Der finale Infarkt bei Kilometer 19 ist für den Durchschnittssportler die einzige Chance, Laufsportgeschichte zu schreiben. Aber welche Strategie nehmen wir jetzt? »Volle Kischte« oder einfach nur Überleben? Im Startblock schwitzen sich panische Läufer schweigend an. Ich spüre spontanes Unwohlsein aufgrund verschärften Mineralienmangels. Last-Minute-Atteste sind eine prima Marktlücke.
    Start. Auf zur Hitzeschlacht im Hexenkessel. Schweißbäche noch vor der Startmatte. Es geht durch die anmutigen Industriegebiete Untertürkheims. In ein paar Jahren beschäftigt Deutschlands großer Automobilbauer hier nur noch ein paar Show-Arbeiter in einer Art Freilichtmuseum. Die ersten beiden Kilometer erst mal
ganz ruhig. In Tritt kommen. Hauptsache, unter 10 Minuten. Der Blick auf die Uhr ist niederschmetternd. Über 11 Minuten. Die haben sich bei der Strecke vermessen. Die Beine zittern.
    Bei Kilometer 4 die erste Wasserstelle. Viel zu spät. Die Zeit rennt unerbittlich gegen mich. Der Plan, bei Kilometer 10 unter 50 Minuten zu sein,

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