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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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irgendetwas, und seien es nur Erklärungen, drängen musste.
    Malinowski seinerseits, als ihm Hans Kaspar, an den Tisch tretend, fast gleichzeitig von Keola als neuer und von Siyakuu als alter Freund vorgestellt wurde, machte nur eine flüchtige Bemerkung über die distributive Wirkung von Kriegen, um sogleich Hans Kaspar nach einer Möglichkeit des Fortkommens zu befragen.
    Der äußerte leichthin: Man bräuchte ein eigenes Schiff.
    Natürlich, Malinowski schlug freudestrahlend auf den Tisch, das ist es! Keola, kannst du ein Kanu bauen?
    Keola konnte.
    Zumindest wusste er, was zu tun war. Er bereiste mit Malinowski die Insel und machte schließlich einen auf siebenundfünfzig Personen geschrumpften Stamm ausfindig, der wegen der Seetüchtigkeit seiner Kanus gerühmt wurde.
    So wie Keola noch Jahrzehnte später die Begegnung mit dem Häuptling der Iwi beschrieb, sah ihn Helder vor sich in vollem Ornat. Über einem farbenprächtigen, um die Lenden geschlungenen Tuch trug der Alte die Jacke eines japanischen Offiziers, dem bei den letzten Kämpfen des Jahres 1945 ein Geschoss oder ein Granatsplitter die Eingeweide zerfetzt haben musste, denn die Uniformjacke ließ jetzt an dieser Stelle, von einem zerschlissenen und fleckigen Rand umgeben, den dunklen, faltigen Bauch des Mannes sehen. Das schlohweiß-wollige Haar seines Kopfes war bedeckt von einem dieser breitkrempigen Farmerhüte, wie sie in Australien aus Känguruleder hergestellt werden. Auf seiner linken Schulter hockte ein schwarzer Vogel, dessen Kehlsack purpurrot leuchtete. Er schien gezähmt, doch festigte eine Schnur an seinem Fuß die Liebe zu seinem Herrn.
    Als der Alte vernahm, dass unter den Besuchern Deutsche waren, da brachte auf sein Zeichen hin ein Bursche eine aus Palmblättern geflochtene Lade. Der Häuptling entnahm ihr feierlich eine preußische Pickelhaube und setzte sie sich anstelle des Lederhutes wie eine Krone aufsHaupt. Der Reichsadler und die goldene Spitze auf dem weißbezogenen Paradehelm blitzten in der Südseesonne, als der Häuptling mit seinen Gästen durch das kleine Dörfchen aus runden Palmhütten schritt. Nur der junge Fregattvogel krächzte irritiert und hieb nach dem seltsamen Artgenossen auf dem Kopf des Häuptlings.
    Nach wenigen Schritten wies der Häuptling voller Stolz auf eine mit Wellblech bedeckte Bretterhütte in der Dorfmitte: sein Domizil.
    Bei einem Begrüßungsmahl aus Reis und Krabben schwärmte er von jener Zeit, als auf dem Eiland noch ein deutscher Amtmann herrschte. Der habe Kopraplantagen anlegen lassen, unzählige neue Palmen gepflanzt in Reih und Glied wie eine kleine Armee.
    Die inzwischen emporgestiegene Tropensonne ließ die kleine Gesellschaft unterm Blechdach vor sich hin kochen. Auf ein Handzeichen hin löste einer der Söhne des Häuptlings zwei Stricke, und schon sank die meerseitige Hüttenwand zu Boden und ließ eine erfrischende Brise ein. Auf diese Art, sagte Keola, konnte der Häuptling seine europäide Residenz mit den Vorteilen einer luftigen Palmhütte ausstatten, ohne den Ruf eines modernen, zivilisierten Menschen aufs Spiel zu setzen.
    Drei Jahrzehnte deutsches Schutzgebiet, fünfzehn Jahre australische Verwaltung und drei Jahre japanische Besatzung hatten nicht nur in der Kleiderlade des Häuptlings Spuren hinterlassen. In einer Ecke seiner Residenz baumelte ein blütengeschmücktes Marienbild. Vor dem Krieg, erzählte der Häuptling, habe das Dorf in heftigem Streit gelegen, weil es einem katholischen Priester gelungen war, ein halbes Dutzend Familien zu missionieren. Daraufhin habe der Küster, welcher den halbjährlich aus Neuguinea anreisenden lutherischen Pfarrer während dessen Abwesenheit vertrat, mehrere Skorpione in die Hütte des Priesters geschmuggelt. Einige Neukatholiken hätten im Gegenzug dasHaus des Küsters angezündet. Am Ende habe es sogar einen Toten gegeben. Seither, sagte der Häuptling und kramte einen lutherischen Katechismus hervor, sind wir während der Regenzeit katholisch und ansonsten evangelisch. Und unter den Japanern haben wir gelernt, an das ewige Rad der Wiederkehr zu glauben.
    Am schönsten aber, wiederholte der Häuptling, war es unter den Deutschen. Damals zeigte mir mein Vater, wie man nachts mit einer Fackel fischt. Draußen in der Bucht zündet man die Fackel an, und die Fische springen, angelockt vom Lichtschein, ins Kanu. Nur nebenbei erwähnte der Häuptling, dass sein Vater bei einer Strafaktion der sogenannten Schutztruppen wegen einer

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