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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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herübergerettet?
    Der Steuermann schüttelte den schweren Kopf. Vorsorglich änderte er, für den Fall, dass dieses merkwürdige Gefährt Menschen behauste und diese Menschen Hilfe brauchten, den Kurs. Doch beim Näherkommen verriet ihm sein Fernglas, diese treibende Robinsoninsel auf See war so etwas wie ein Schiff. Die Hütte, gebaut aus Bambus und geflochtenen Pandanussblättern, stand auf der Plattform eines Doppelrumpfkanus. Ein Mann an Bord winkte ihm fröhlich zu, und so nahm der Frachter seinen alten Kurs wieder auf.
    Dies war die auf Wochen letzte Begegnung eines Schiffes mit der
Rutas
, deren Besatzung, bis auf den am Steuerruder diensttuenden Hans Kaspar, noch schlief.
    Was für eine Expedition! Ein Eisenbahner, eine Seidenfabrikantin und ein Professor segeln auf einem polynesischen Kanu über den Pazifik.
    Wo soll das hinführen?, dachte Helder, wird sich Hans Kaspar gefragt haben.
    Mit einem guten Navigator und dem Südostpassat, hören wir Malinowskis Antwort, direkt nach den Karolinen.
    Blauer Himmel, blaue See, die Grenze zwischen beiden verschwimmt am Horizont. Die Welt ist tagelang eine im Blau dahintreibende Scheibe. Das Kanu darin eine glückliche Insel, begleitet von Delphinen und Schwärmen fliegender Fische.
    Malinowski, wenn er nicht gerade in seinen Büchern vergraben war, machte sich einen Spaß daraus, sie mit seinem Hut wie mit einem Schmetterlingskescher zu fangen. Hans Kaspar und Siyakuu, die sich im Küchendienst abwechselten,hatten so eine willkommene Abwechslung im Topf überm Spirituskocher.
     
    Sie haben oft gebadet, erzählte der Einbeinige, einer hielt den anderen an einer Sicherheitsleine und warnte, wenn die Flosse eines Hais auftauchte. Sie redeten viel. Nur einmal haben sie heftig gestritten. Ich glaube, der Name Estragon fiel. Und wenn ich mich nicht getäuscht habe, und ich habe mich bestimmt nicht getäuscht, haben sie nicht nur einmal in einem der Bootsrümpfe sehr eng beieinandergelegen.
    Was vermag ein besternter Himmel in einer lauen Meeresnacht? Nicht viel mehr, als ein paar Augenblicke lang die Zeit aufzuheben, die, die war, und die, die kommen wird. Die Zeit und die Entfernung zwischen zwei Menschen, alle Grenzen. – Zumindest so lange, bis ein fliegender Fisch, angezogen von Mond und Sternenlicht, mit nassem Klatschen auf einen ihrer nackten Bäuche fällt.
    Das Verhältnis, in dem die drei standen, sagte der Einbeinige, war offensichtlich. Und ich fürchtete um den Frieden an Bord.
    Tag und Nacht war ich hellwach. Unterbrochen von wenigen kurzen Schläfchen, beobachtete ich Himmel und Meer, Wolken und Wellen. Ich war der Navigator, verantwortlich dafür, dass das Kanu und die Menschen darauf ihr Ziel erreichten.
    Du musst wissen – so erläuterte es der Einbeinige Helder ebenso, wie es Keola Hans Kaspar erklärt haben wird –, wo du hergekommen bist. Du musst die Richtung kennen, in die du segelst, wie lange und wie schnell. Es sind mehr als zweihundert Sterne, die mir mein Vater zeigte, so wie er sie von seinem Vater gezeigt bekam. So war diese Reise, sagte der Einbeinige, für mich nicht nur eine Reise weg von Maschinen und Vogelmist, es war auch eine Reise zu meinen Vätern, ihrem Können, ihrem Stolz.
    Das aber, was ein Navigator am meisten fürchtet, ist der Wolkengürtel: dort, wo überm Äquator die Passatwinde aus Nord und Süd aufeinandertreffen, wo die warme Luft aufsteigt und die Feuchtigkeit des Meeres mit sich in die Höhe nimmt. Dort, wo eine undurchdringliche Wolkendecke das Meer bei Tag zu einer grauen, unlesbaren Steinplatte macht und bei Nacht die Welt zu einer undeutbaren lichtlosen Finsternis. Das ist der Ort, wo der Navigator seine Blicke in alle Richtungen schickt – vergebens, wenn er nicht nach innen sieht.
    Auch der Professor muss in dieser undurchdringlichen Atmosphäre nach innen geblickt und etwas gesehen haben, denn unvermittelt brach er einen Streit vom Zaun. Kann sein, weil die Fische nicht flogen. Oder das Palapala seiner Bücher hatte ihn verrückt gemacht. Oder er hatte endlich kapiert, dass die Hand seiner Frau doch etwas zu lange auf der Hans Kaspars lag, wenn sie ihn um etwas bat.
    Zornesrot bis unter die Haarwurzeln beschuldigte er Siyakuu, das Wachstuch, welches er zum Schutz vor Wasser immer über seine Papiere deckte, beiseitegezogen zu haben. Und der eben einsetzende Regen hatte bereits auf einem der Blätter einer großen hellblauen Tintenfleck hinterlassen. Möglicherweise war es wirklich nur der Tintenfleck, der

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