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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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angeblichen Verschwörung erschossen worden war.
    Doch selbst dies, dass sein Vater durch eine deutsche Gewehrkugel zu Tode gebracht worden war, schien der Häuptling als Ehre zu betrachten. Mag sein, die Gastfreundschaft dieses alten Mannes war größer als die Erinnerung an einen frühen Schmerz. Oder aber diese Menschen hatten gelernt, die Heimsuchungen durch fremder Menschen Macht ebenso hinzunehmen wie die durch die Natur.
    Jedenfalls zeigte ihnen der Alte persönlich zwei prächtige Koa-Akazien. Mit einigen Helfern aus dem Dorf machten sich Keola und Hans Kaspar an die Arbeit. Sie hieben die Stämme aus, kalfaterten Risse und Fugen mit Baumharz. Kokosfasern wurden von den Frauen für die Abdichtung gezupft oder zu Tauen gedreht. Während Malinowski über seinen Aufzeichnungen und Plänen brütete, verteilte Siyakuu Medikamente aus der Reiseapotheke und lernte von einer alten Frau, wie man mit einem Sud aus Meerwasser die Krankheit aus dem Körper schwemmt.
    Misstrauisch beäugte Keola anfangs jeden Handgriff der Einheimischen. Wer weiß, raunte er Hans Kaspar zu, ob diese Iwi wirklich Boote bauen können. Die Helfer ihrerseitslachten schallend, als Keola verlangte, statt des Auslegerbalkens das zweite Kanu mit dem ersten zu verbinden.
    Und darauf ein Haus?
    Ja, darauf ein Haus!
    Aus Brettern und Blech?
    Nein, aus Bambus und Blättern.
    Hans Kaspar hatte vergeblich versucht, im Hafen Segeltuch zu beschaffen, so stellten sie unter Keolas Anleitung ein Flechtwerk aus Pandanussblättern her.
    Endlich war es so weit, das Kanu war fertig. Malinowski hatte darauf bestanden, ein Festessen für alle siebenundfünfzig Dorfbewohner auszurichten, zu welchem Zweck er Food & Drink halb leerkaufte. Man zauberte aus Konserven und Reismehl ein annehmbares Mahl.
    Mit einer Flasche Brandy durfte Siyakuu das Kanu taufen.
Rutas
stand in großen Lettern auf einem der Rümpfe. Alle waren zufrieden mit dem gemeinsamen Werk. Und mit fortschreitendem Alkoholkonsum wuchs die Entfernung, die man sicher war, mit der
Rutas
zurücklegen zu können: Nan Madol … Hawaii … Amerika … Deutschland.
    Deutschland, Deutschland über all… Das war die trunken krähende Stimme des Häuptlings, der seinen Gästen wieder eine Ehre erweisen wollte. Doch die schwiegen betreten.
    Gegen Morgen, als alles schon schlief, hockte der Häuptling noch am Glutrest des Feuers, zu seinen Füßen saß der Fregattvogel, die Augen geschlossen.
    Hör zu, sagte der Alte zu ihm, wir sollten mit ihnen fahren.
    Warum?, fragte der Vogel, ohne die Augendeckel zu heben.
    Weil auch unsere Insel diesen Ort verlässt. Seit ich denken kann, fährt sie mit den Laderäumen der fremden Schiffedavon. Die Fahnen der Fremden wechseln, doch mit jedem Wechsel ist wieder ein Stück unserer Heimat verschwunden … Was euereiner in hundert mal hundert Jahren hingemistet hat, karren die in einmal hundert Jahren weg.
    Da wunderst du dich? Hast du auf der Missionsschule nur geschlafen?
    Ich?
    Ja, du. Am Ende, so steht es im Buch ihres Gottes, ist die Erde wüst und leer.
    Am Anfang. Du Dummkopf, es heißt: am Anfang.
    Bist du sicher, dass ich der Dummkopf bin? Geh in die Mine, und du siehst Anfang und Ende zugleich.
    Also fahren wir?
    Wohin?
    In die Urheimat, wie die Fremden sagen. Dorthin, woher wir kamen.
    Nach Hause? Ich dachte immer, wir sind es hier? Hast du nicht gesagt, als ihr aus dem Arbeitslager kamt: endlich zu Hause?
    Auf diese Frage gab der Häuptling keine Antwort. Kann sein, dass er sie nicht wusste. Vielleicht war die Antwort ein Hauch, der seufzend seinem Mund entwich.
    Der Vogel öffnete erst das eine Auge, dann das andere. Er breitete die Flügel aus und wackelte auf seinen kleinen Füßen dem Meer zu. Die Schnur an seinem Fuß löste sich ohne Widerstand aus der Hand des Häuptlings.
    Keola, der als Erster wieder zum Strand kam, fand den reglosen Häuptling. Tot oder, dachte Keola, schon vorausgegangen.
    Den Vogel, der sich vergeblich mühte, vom flachen Ufer zu starten, nahm er an sich und später mit auf die Reise.
     
    Der Steuermann des Phosphatfrachters, der am Morgen des siebten Mai Nauru in Richtung Singapur verlassen hatte, traute seinen Augen nicht, als er in der kräftigen Dünungdes offenen Meeres plötzlich eine Hütte schwimmen sah. Welche Flut hatte diese Arche vom Land losgerissen? Kein Taifun und kein Seebeben, jedenfalls hatte ihn keine Nachricht erreicht. Oder hatte sich gar der Rest eines Traumes aus der alkoholdumpfen Kneipennacht in den Tag

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