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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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zu bringen. Es war vergebens. Als ich endlich aufstehen und mich mit Krücken fortbewegen konnte, habe ich am Strand nur noch sein von den Vögeln blank gepicktes Skelett gefunden.
    Fast lautlos glitt das Kanu über das nächtlich stille Meer zur Verbotenen Insel hinüber.
    Hatte Großvater tatsächlich Menschenfleisch verspeist? Vom Widerstandskämpfer zum Menschenfresser? Das, dachte Helder, ist wohl Grund genug, ihn aus dem Familiengedächtnis zu streichen.
    So etwas konnte man doch nur vergessen und zurückfliegen nach Hause. Vergiss das alles!
    Auch die Grüne Wituland, Helder?
    Von mir aus, auch die. Weg mit den Schuhen!
    Schon hatte er sie ausgezogen und in hohem Bogen ins Meer geworfen.
    He, Helder, was tust du?!
    He, was machen Sie, rief der Einbeinige und fischte die Schuhe wieder aus dem Wasser. Das sind die Schuhe ihres Großvaters.
    Wissen Sie, von den eigenen Kameraden gegessen zu werden, ist doch besser als von Würmern oder Fischen. Aber ehrlich gesagt, ich weiß selbst nicht, was auf der
Rutas
wirklich geschah. – Hören Sie, es wird nicht leicht sein, an die Tagebücher ihres Großvaters zu kommen. Doch wenn wir es schaffen, dann wissen wir vielleicht mehr.
    Schweigend paddelten sie weiter über die nächtliche See zur Verbotenen Insel. Helder war sich nicht sicher, ob er überhaupt noch erfahren wollte, was gewesen war.
    Doch vielleicht gelang es, den Großvater vom Vorwurf des Kannibalismus zu entlasten. Vielleicht würde er in dessen Aufzeichnungen lesen, wie die Besatzung der
Rutas
versucht hatte, mit Keolas Bein nach Bonitos zu fischen.War deshalb der Knochen, als ihn die Besatzung der
Truman
entdeckte, blank und abgenagt? Oder: Hatte Keola sein Bein in Wirklichkeit beim Angriff der Haie verloren, und die Amputation war nicht mehr als die Vision seines hungerverwirrten Geistes?
    Ja, sicher, so wird es gewesen sein: Keola hat einen der Haie fangen wollen, war aber dabei unglücklich gestürzt. Kopfüber ins Wasser. Malinowski blitzschnell, was niemand ihm zugetraut hätte, hält ihn noch Sekunden am Bein. Doch ehe Hans Kaspar und Siyakuu hinzuspringen und den Unglücklichen wieder an Bord ziehen können, verschwindet der in der Tiefe. Zurück bleibt, unter den entsetzten Blicken aller, das durch einen Haibiss abgetrennte Bein in Malinowskis Händen. Ja, dachte Helder, so muss es gewesen sein. Dann vielleicht war doch noch Rettung gekommen, der Wal …
     
    Im Kommandozentrum der
Truman
wurde das Entsetzen über den Knochenfund von einer anderen Erregung verdrängt, als der Schiffsarzt über den Gesundheitszustand der Geretteten Bericht erstattete: Ein den Umständen entsprechender allgemeiner Schwächezustand, beginnende Austrocknung des Körpers, erste Anzeichen von Skorbut und …
    Und was?!, fragte der Kommandant streng.
    Die Haut der Frau weist Schäden auf, die nicht allein durch lange Sonneneinwirkung zu erklären sind. Sondern …
    Sondern?!
    … durch Strahlung, radioaktive Strahlung. Merkwürdigerweise sind die beiden Männer frei davon. Die Frau wurde selbstverständlich sofort isoliert. Sie steht unter ständiger medizinischer Beobachtung und Behandlung.
    Nach eindringlichen Befragungen und einigen Erkundigungen ergab sich für den Kommandanten folgendes Bild:
    Als am 1. Juli 1946 um 9:00 Uhr in 158 Metern Höhe über dem Bikiniatoll die 23-Kilotonnen-Atombombe
Able
explodierte, wurden die meisten der 94 Schiffe, die zu Testzwecken im Sperrgebiet ankerten, nur oberflächlich beschädigt. Da die Bombe versehentlich 700 Meter westlich vom geplanten Punkt detonierte, zerriss die Druckwelle allerdings einen in der Nähe liegenden alten Kutter, der verschiedene Tiere von der Insel hatte evakuieren sollen.
    Entweder hatte das Schiff einen Motorschaden gehabt, und die Besatzung war, als die Zeit knapp zu werden drohte, fluchtartig von Bord gegangen. Oder jemand in der Einsatzleitung hatte durchgesetzt, die Wirkung der Bombe auch an Tieren zu testen. Dies war dem Kapitän bisher nur gerüchteweise zu Ohren gekommen, als ein nicht verwirklichter Plan. Eine sehr abstruse Idee, wie der Kapitän fand, der zu Hause selbst verschiedene Tiere hielt, darunter ein von seinen Kindern abgöttisch geliebtes Pony.
    Nun war da vermutlich ein Pferd von der Wucht der Explosion durch die Luft geschleudert worden. Zufällig war es nicht im Meer, sondern auf einem Floß, vermutlich einem Bruchstück des Kutters, einer Kabinenwand vielleicht, gelandet.
    Besser, es wäre ertrunken, dachte der Kapitän. Besser

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