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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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Broschüren. Sie wurde Mitglied jener Partei, die eine Mauer hatte errichten lassen, um sie vor
diesen Willis
(Zitat Rosa) zu schützen.
    Die Sache mit Onkel Willi verschwand bald unter dem Teppich der neuen Zeit. Der Fall hatte sich dem Knaben Henri auch nur verschlüsselt mitgeteilt: Gibt keine Päckchen mehr, basta!
    Eines Tages war doch noch einmal Post gekommen von Onkel Willi, ein Brief. Die drei Frauen hatten die Köpfe über dem Brief zusammengesteckt. Rosa hatte ihn dann noch einmal allein gelesen und heftig geweint.
    Was Helder dem Schweigen zwischen den wenigen Bemerkungen der Mutter entnahm: Sie war jetzt nicht mehrböse auf ihren Bruder Willi, sondern wieder auf ihren Vater. Und sie wolle nicht länger zu Hause sitzen.
    Rosa verlangte nach Arbeit, nach richtiger Arbeit. Nicht nur Kinder, Konsum, Kittelschürze. Bald trug sie nicht mehr nur Schürzen, sondern den Staat. Sorgte, dass er sich gut kleidete, der Staat. In der Tuchfabrik Cottbus, worin die ehemaligen Stickenbacher Tuche aufgegangen waren, entwarf sie Muster für Stoffe, in denen sich so manche gestickte Sonntagsphantasie wiederfand.
    Den ganzen Tag malen, maulte ihr Mann, was ist denn das für Arbeit?
    Später, als sie teilhatte an der Erfindung eines künstlichen Gewebes, das der Hausfrau das Bügeln abnahm, wurde sie vom Staat für diese Arbeit zur Heldin ernannt. Der Stoff war knitterfrei und wärmte gut, vor allem im Sommer.
    Na endlich, anerkannte Gatte Bertram und zählte die Scheine, ’ne Prämie, die sich lohnt.
    Rosa hatte für derlei vulgären Materialismus nur ein geringschätziges Lächeln übrig. Ihre Prämie war die Zukunft, die kommunistische selbstverständlich: knitterfrei und warm. Sie hing dieser Idee mit einer frommen Liebe an, die sie Überzeugung nannte. Ihr Messias hieß Marx, sie sagte natürlich: mein Philosoph.
    Das waren die drei Bestandteile ihrer Philosophie: schöner kleiden, schöner wohnen, schöner lieben. Am schönsten aber liebt es sich das Ferne.
    Das Leben aus der Nähe ist mitunter allzu hässlich. Und was ist ferner als ein toter Denker? Höchstens die Zukunft.
    An Marxens selbsternannten Siegelbewahrern in Rosas Partei erfuhr ihr metaphysisches Bedürfnis jedoch wenig Labung.
    Und die nahe, die häusliche Liebe? Die roch doch manchmal sehr nach alten Socken.
    Bertram seinerseits fühlte sich vernachlässigt. Er litt Mangel. Er war eifersüchtig. Seine Eifersucht tarnte sich als Gesellschaftskritik: Du und deine Mangelwirtschaft …
    Meine liebe Rosa, sagte Bertram feierlich im November 1989, ich habe ja nicht gerne recht. (Was gelogen war.) Aber nun kannst du es endlich auch in deiner Zeitung lesen. (Das stimmte.) Es war doch alles Murx. (So weit wollte die Zeitung aber nicht gehen.)
    Rosa las und las und las … Und las am Ende nur noch Romane und die Bibel. Beide lehrten sie: Die Wahrheit ist das Ausgedachte.
    Es sollte lange dauern, bis Rosa begriff, dass Gerüchte von dieser Weisheit ausgenommen sind, zumindest was ihren Bruder Willi und auch ihren Stiefschwiegervater Karwenzel betraf.
    Aber geahnt, geahnt hat sie schon, warum ihr Vater, Hans Kaspar Brügg, sie in ihrer frühen Jugend verließ und sich in der Welt herumtrieb.
    Manches Mal saß sie allein in den Bänken der Brandter Kirche und dachte an ihren halben Bruder Willi. An Willi und daran, dass er gestorben war. Auch dass sie ihm Unrecht getan hatte mit ihrem Verdacht. An seinen Brief dachte sie und wie er geschrieben hatte von seinem Besuch beim Vater. Böse war sie keinem mehr, nur noch ein wenig traurig. Dann stellte sie sich vor, dass
sie
den Vater noch einmal getroffen hätte. Wir hätten gesprochen miteinander, dachte sie, und wären nicht fertig geworden damit …

XXV
    Im Juli 1946 tauchte auf Nauru im Dorf der Iwi ein Fregattvogel auf, der sich seltsam benahm. Stundenlang hockte das Tier, ohne sich zu rühren, auf dem Wellblechdach der Hütte des verstorbenen Häuptlings. Als ein Neunjähriger sich daranmachte, ihn einzufangen, ließ sich der Vogel ohne Widerstand oder Fluchtversuch berühren. Dabei entdeckte der Junge an seinem Fuß einen Zettel. Der Zettel wanderte von Hand zu Hand. Bis schließlich einer die Botschaft zu deuten verstand: Es war das
Save Our Souls
von Schiffbrüchigen.
    Zur selben Zeit befand sich die Fregatte
Truman
auf dem Heimweg vom Bikiniatoll, wo sie an der Beobachtung nuklearer Versuche teilgenommen hatte. Sie erhielt Order, nach den Schiffbrüchigen zu suchen. Bereits wenige Stunden nachdem der Funkspruch

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