Der Lavagaenger
auch für die Frau, die, nichtsahnend, die Schmerzen des Tieres hatte lindern wollen und nun selbst kontaminiert war.
Noch bevor die
Truman
in Pearl Harbor anlegte, erschien ein Zivilist an Bord, der den Geretteten ein Angebot unterbreitete. Man werde von einer Anklage wegen Kannibalismus absehen, sagte der freundliche Herr und bot Zigaretten an. Allerdings erwarte die Regierung ein entsprechendes Entgegenkommen. Selbstverständlich werde Mrs. Malinowski alle erdenkliche medizinische Hilfe zuteil, doch diese merkwürdige Begegnung mit einem Pferd solle man doch besser vergessen.
Ich bitte Sie, ein Pferd allein auf hoher See! Verhungernde haben schon ganz andere Dinge zu sehen geglaubt. So oder so: Die Russen würden einen solchen Zwischenfall sofort propagandistisch ausnutzen.
Malinowski und Hans Kaspar willigten, ohne zu zögern, ein, schon um Siyakuus Gesundheit nicht zu gefährden.
Allein Siyakuu zögerte. Ich weiß nicht, sagte sie, was dort im Pazifik wirklich geschehen ist. Aber ich habe dieses Pferd gesehen. Eine stumme Kreatur. Doch zu mir hat sie gesprochen. Ein Opfer. Ich finde, es wurden genug Opfer gebracht. Zu viele, um zu schweigen.
Der freundliche Herr runzelte die Stirn und verließ den Raum, um den drei Bedenkzeit zu geben.
Malinowski und Hans Kaspar redeten auf Siyakuu ein, beschworen sie eindringlich: Wem es nütze, wenn
sie
sich jetzt opfere, ja opfere.
Für wen, Siyakuu!?
Sie erklärte sich schließlich einverstanden.
Der Mann hielt, was er versprach. Siyakuu wurde in ein Militärhospital eingeliefert. Der behandelnde Arzt hatte nach wenigen Tagen und vielen Untersuchungen keine Bedenken, dass sowohl Malinowski als auch Hans Kaspar sie besuchten, wann immer sie wollten.
So kam es, dass beide mitunter stundenlang an Siyakuus Bett saßen. Jeder auf einer Seite. Und jeder bot dem anderen an, die Krankenwache zu übernehmen. Jeder lehnte ab. Ja, es schien, als bewachten sie sich gegenseitig oder wetteiferten zumindest darum, Siyakuu die größere Zuwendung zuteilwerden zu lassen.
Dies drückte sich nicht allein in den Bergen von Früchten und Süßigkeiten aus, die sie anschleppten, sondern auch in Büchern. Dieses könne die Patientin wunderbar zerstreuen, jenes unbedingt zu ihrer Genesung beitragen. Eines Tages gerieten beide Männer vor der milchverglasten Krankenzimmertür in Streit. Malinowski hatte in einem Antiquariateinen reich bebilderten Band über Anatolien entdeckt, den vermutlich ein Seemann dort zu Geld gemacht hatte. Malinowski war überzeugt, das Buch werde Siyakuu aufmuntern. Hans Kaspar aber führte dagegen ins Feld, das Buch könne ihre traumatischen Erlebnisse reaktivieren.
Wie in einem Schattentheater sah Siyakuu die Streithähne hinter der Glasscheibe. Als die beiden, Frieden heuchelnd, eintraten, sagte sie: Geht bitte. Beide!
Betreten und schweigend setzten sich Malinowski und Hans Kaspar auf eine der Bänke an den Wänden des Flures. Keiner konnte sich entschließen, das Krankenhaus zu verlassen. Man wolle, darin war man sich jetzt einig, auf den Arzt warten, um ihn zu fragen, wie weit Siyakuus Genesung fortgeschritten sei. Zu ihrer Überraschung kündigte der Arzt den Donnerstag der folgenden Woche als Tag der Entlassung an.
Am Montagabend bemerkte eine Schwester beim Wegräumen des kaum berührten Abendessens von Siyakuus Bett einen trockenen Husten an der Patientin, und ihre daraufhin aufgelegte Hand registrierte eine heiße Stirn. Dass die Quecksilbersäule des herbeigeholten Fieberthermometers bei achtunddreißig Grad verharrte, beruhigte die Schwester. Zwei Stunden später kletterte das Quecksilber allerdings schon über die vierzig, und Siyakuu klagte keuchend über starke Schmerzen in der Brust. Der eilends herbeigerufene Arzt fand rostbraunen Schleim auf ihrem Kissen und diagnostizierte sogleich eine Entzündung der Lunge. Obwohl er sofort Penicillin spritzte, hatten sich am Dienstagmorgen Fingernägel und Lippen der Patientin bläulich verfärbt. Die sogleich veranlasste Röntgenaufnahme bestätigte den Verdacht des Arztes auf eine bereits weit fortgeschrittene Schädigung des Lungengewebes.
Am Mittwoch trat kurzzeitig eine Besserung ein.
Als die Schwester in der Nacht zum Donnerstag gegen ein Uhr das Krankenzimmer betrat, fand sie die Patientinvermeintlich schlafend. Sie wollte sich schon zurückziehen, da fiel ihr Blick auf Siyakuus nackten Fuß. So ging die Schwester doch noch einmal an ihr Bett, um die Decke über den Fuß zu ziehen. Der Mond
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