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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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hatte. Natürlich die Absätze, die Absätze der Schuhe musste er überprüfen, denn wenn jeder Filmagent etwas im Schuh versteckt, könnte doch auch sein Großvater … Doch so gründlich er auch die Sohlen und Absätze untersuchte, er fand nichts. Kein geheimes Versteck, nichts. Alles fest verklebt und fest vernäht. Da packte er die Schuhe kurz entschlossen ein und schleppte sie zu einem alten Schuhmacher.
    Neue Sohlen?
    Nein, sagte er, nur mal ansehen.
    Was? Die Schuhe? Junger Mann, Sie bringen mir ein Paar Schuhe zum Ansehen? Ich bin Schuster, kein Museum!
    Ob es da ein Geheimfach gibt. So wie im Film. Sie wissen schon … Soll auch nicht umsonst sein.
    Der Schuster drehte und wendete die Schuhe, besah sie mit Hilfe seiner Arbeitslampe ganz genau, klopfte hier, drückte da. Nichts. Er roch sogar daran.
    Man könnte höchstens das Innenfutter auftrennen, ob da vielleicht … Aber, da passt ja bestenfalls ’ne Briefmarke dahinter. Wäre schade drum. Das ist solide verarbeitet. Wirklich. Und Eins-a-Leder. Und die Verarbeitung, handgenäht. Nur hier am Schaft, er hielt Helder den linken Schuh unter die Nase, da, wo das Leder mit dem Futter vernäht ist, da wurde ein anderer Faden genommen. Na ja, sehen Sie, die sind ja auch nicht von hier. Er zeigte auf das in Knöchelhöhe eingeprägte Muster.
    Sicher, sagte Helder, die kommen aus Hawaii.
    Hawaii? Unsinn, das sind arabische Schriftzeichen. Kein Zweifel, die erkenn ich. Ich war nämlich damals unter Rommel bei El Alamein dabei. Wissen Sie, was dort unten los war?! Da haben wir dem Engländer so richtig eingeheizt. Ich sage Ihnen, den Rommel als Oberbefehlshaber und dann …
    Dann war Helder schon aus dem Laden und spürte kein Verlangen zu hören, wie Deutschland den Zweiten Weltkrieg hätte gewinnen können.
    Kein Südseemuster, sondern arabische Zeichen. War Hans Kaspar Brügg auch
dort unten
gewesen? Ein fanatischer Nazi, der sich mit vierzig noch freiwillig in den Krieg begab? Hatte er deshalb Frau und Kinder verlassen? Hing er gar in irgendwelchen Kriegsverbrechen drin? Wurde deshalb so deutlich über ihn geschwiegen? War er, der dunkle Schatten der Familie, also zu Recht von ihr verbannt worden?
    Helder fuhr ins Heim, Seniorenresidenz »Abendfrie den «. Er traf Erdmuthe beim Brettspiel, umweht von sanfter Dudelmusik.
    Johannes, fuhr sie gerade ihren Spielpartner an, du betrügst!
    Der Angesprochene lächelte mild und flüsterte: Mensch, ärgere dich nicht!
    Die betrügen hier alle, alle betrügen. Meine Schwester Henriette hatte recht, sind alle Betrüger, diese Männer. Sie begann, mit zittriger Stimme zu singen:
Die Männer sind alle Verbrecher …
    Hans Kaspar auch?
    Nein, der nicht. Der nicht.
    Sag mal, Tante Erdmuthe, war Großvater im Krieg? Nordafrika vielleicht?
    Dort unten? Wann soll das gewesen sein, unterm Kaiser?
    Nein, Tantchen, unter Hitler.
    Also neunzehnvierzehn?!
    Helder stöhnte, brachte sie die deutschen Feldherren nur durcheinander oder versuchte sie, vom Familiennazi abzulenken.
    Ja, sinnierte Erdmuthe, da war einer. Ein Eisenbahner, der hieß Brügg. Der hat ihn wohl mitgenommen!

V
    Brügg? Natürlich Brügg! Arno Brügg. Die Nase scharf, die Augen schmal, der Schnauzbart groß und fransig. Dieser Bart glich so gar nicht dem hochfahrenden Oberlippengewächs seines Kaisers.
    Du mit deinem traurigen Schnauzbart, hatte Carla manchmal zu ihm gesagt.
    Und einer seiner Vorgesetzten: Brügg, Sie sind die personifizierte Majestätsbeleidigung. So wie Sie Ihren Bart hängen lassen, in diesen Zeiten, bei diesem Wetter!
    Einzig für Hans Kaspar hatte dieser Bart immer etwas Respektables gehabt. Er war ein Geheimversteck für das Lächeln und auch für die Wut seines Erziehers. Gleichmütig, schien es, nahm der Meister die Welt ebenso hin wie Hans Kaspars kindliche Streiche.
    Brügg wurde von seinem Ziehsohn Hans immer nur Meister genannt. Lange Jahre hatte Brügg kaum etwas mehr ersehnt, als aus Hans Kaspars Mund das Wort
Papa
zu hören. Nicht etwa, weil er ihn, wie er immer wieder gern erzählte, an einem klaren Januartag des Jahres 1899 auf dem Cottbuser Bahnhof gefunden hätte. Sondern, weil er zu ihm bald darauf in ein väterliches Verhältnis geraten sei.
    Anfangs war nach dem Kind zu schauen, gab er später an, nur ein Vorwand, die junge Schwester Carla zu sehen. Mehr als an Leibschmerzen und der Konsistenz von Babystühlen sei er an Carla interessiert gewesen.
    Ihre Lippen kräuselten sich auf eine liebreizende Weise, allerdings nur, wenn

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