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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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sollte, was schmerzte, obwohl es nicht mehr da war. Bald wusste Brügg auch wie …
    Wie? Erschrocken schlug Carla die Hände vor den Mund, als Brügg ihr eines Tages den
Cottbuser Anzeiger
, worin er eine Annonce mit Bleistift dick umrahmt hatte, unter die Nase hielt.
    Um Himmels willen, ins Mohrenland?!
    Mich, antwortete Brügg, holt schlimmstenfalls der Landsturm, und ich muss mit den Krüppeln von 1870 ins Manöver. Aber der Junge, der landet gleich im Schützengraben. Nein, den Jungen, den sollen sie nicht kriegen. Der kann es doch kaum erwarten, sich freiwillig zu melden. – Da ist es besser,
ich
melde mich freiwillig. Zum Bau der Bagdadbahn nämlich, und der Scheißkrieg kann uns mal. Außerdem: Türken sind keine Mohren. Der Türke, das schreibt auch Karl May, ist ein gutmütiger Geselle.
    Trotzdem, da hinunter? Arno?! Nie und nimmer!
    Da, nun lies doch einmal! Man sucht Bahn- und Werkmeister, Streckenkontrolleure, alles … Es gibt dort deutsche Schulen, du könntest Lehrerin …
    Carla hielt in ihrem Kopfschütteln inne, sie versank für einen Moment in der farbenfrohen Ferne eines Traums. Die Schule, ihre Schule! Eine andere als die, die man in diesem Land kannte.
    Jedes Jahr zu Kaisers Geburtstag hatte Hans’ Lehrer die Klasse mit Pickelhauben aus Pappe und Säbeln aus Holz aufmarschieren lassen und singen:
    Der Kaiser ist ein lieber Mann,
    Er wohnet in Berlin,
    Und wär es nicht so weit von hier,
    Dann führ’n wir heut’ noch hin.
    Carla hatte sich lange nicht vorstellen können, dass es etwas anderes geben konnte als kleine Soldaten, die Buchwissen exerzieren. Doch dann hatte sie sich mit den Schriften der Reformpädagogen befasst und zahlreiche Vorträge gehört.
    Nun war es Zeit, selbst etwas zu tun. Ja, sie würde dort unten ihre eigene Schule gründen. Nur freie Kinder werden keine Knechte. Nun, sie dachte an die Kriegsspiele ihres Ziehsohns, ein bisschen Führung müsste schon sein.
    Sicher, ihren Hans würde sie kaum noch unterrichten. Dennoch sagte sie, an Arno gewandt: Bestimmt ist es besser für das Kind.
    Das Kind war inzwischen sechzehn Jahre und kommentierte die Entscheidung seines Vormunds kühl: Der Meister hat gesprochen.
     
    Wenige Wochen später fuhren sie mit dem Orientexpress in Konstantinopel ein. Die Kuppeln der Moscheen und ihre Minarette strahlten in einem goldenen Abendlicht, und namentlich Carla wurde von einer romantischen Begeisterung erfasst.
    Mit der Kutsche ging es zur Fähre durch dicht bevölkerte Straßen. Man sah arabische Turbane und europäische Strohhüte, den türkischen Fez und jüdische Kappen, verschleierte Bäuerinnen und fein frisierte Damen mit Sonnenschirm und auch, was Brügg missfiel, nicht wenig deutsche Offiziersmützen.
    Militärberater aller Chargen sollten dem durch die Verluste auf dem Balkan und in Nordafrika
schwer kranken Mann am Bosporus
militärisch wieder auf die Beine helfen. Schließlich hatte der deutsche Kaiser auf seiner Morgenlandfahrt im Jahre 1898 dem Sultan und dessen muslimischen Untertanen vor aller Welt versichert, zu jeder Zeit ihr Freund zu sein. Eine Freundschaft, die in den belebten Dioramen des großen Krieges heftigste Bestätigung finden sollte, nicht nur mit Kaninchenblut.
    In den ersten Septembertagen des Jahres 1914 vermeldete die auch in Konstantinopel erscheinende
Tägliche Rundschau
, ein deutscher Aeroplan habe eine Bombe unmittelbar neben das Denkmal Heinrichs IV. fallen lassenund damit unter der Pariser Bevölkerung eine Panik ausgelöst. Dies las sich wie ein zwar gelungener, an sich aber harmloser Streich. Mancher, nicht aber Arno Brügg, mochte sich so noch darüber hinwegtäuschen lassen, dass in Europa ein großes Schlachten begonnen hatte.
    Keine der in den Krieg verwickelten Mächte des Kontinents wollte sich das zwar angeschlagene, aber noch immer militärisch respektable Osmanische Reich zum Gegner machen. Ebenso hielten sich die Sympathien für Deutsche oder Franzosen innerhalb der türkischen Regierung noch die Waage. So schien es Brügg, dass der Plan, seine kleine Familie und insbesondere den jungen Hans für friedliche Aufgaben in eine friedliche Region zu retten, aufgehen könne.
    Tatsächlich, wie ein sanfter Morgenhimmel lag der Frieden über Konstantinopel. Die Uniformträger scherzten in den Cafés und schlugen ihre Schlachten über Brettspiele gebeugt.
    Ein heiteres Gewimmel von Ruderbooten, Segelschiffen und Raddampfern erfüllte den Bosporus, als sich die Kutsche der Meerenge

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