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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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Carla schwieg und nachzusinnen schien. Ihre Haare wellten sich sanft, wie ihre seltenen Sätze, und hatten den milden Glanz frischer Kastanien.Brügg konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, die Welt sei zu grob für diese zarte Person. Er selbst meinte manchmal, seine großen Hände im Zaum halten zu müssen.
    Carla wiederum deutete Brüggs Zurückhaltung und Verschlossenheit nicht ohne Eifersucht. Vielleicht gibt es ja eine andere Frau. Und er kommt zu mir nur des Kindes wegen.
    Da sie sich jedoch zu fragen scheute, redete man über die praktischen Angelegenheiten und Hans Kaspars Entwicklung. Dabei chauffierte man an dienstfreien Sonntagnachmittagen den Findling im hochrädrigen Kinderwagen gemeinsam an der Spree entlang und fütterte die Enten.
    So auch an einem frischgrünen Junitag. Als Brügg sich eben am Stand eines Eisverkäufers angestellt hatte, beugte sich eine reifere Dame sehr interessiert über das Säuglingsgefährt. Eine nicht ungewöhnliche Begebenheit, wäre der fremden Frau da nicht eine Bemerkung über die Lippen gerutscht:
Schade um die Mutter.
    Erst ihre hastig vor den Mund gelegte Hand machte Carla klar, wie seltsam dieser Satz war: Schade um die Mutter?
    Für Außenstehende war doch augenscheinlich Carla die Mutter. Warum also sollte es schade um sie sein? Oder wusste die Fremde, dass nicht sie die Mutter, sondern … wer?
    Warten Sie! Doch die Fremde eilte davon, und Brügg näherte sich mit zwei großen Portionen Eis.
    Schade um die Mutter, hat sie gesagt.
    Wer?
    Die Frau da, eben war sie noch …
    Lass nur, eine Verrückte.
    Schade um die Mutter … verstehst du das?
    Wieso sollte
ich
das verstehen? Brügg war plötzlich ungewohnt schroff, er schimpfte: So was verstehen nur Verrückte. Da! Dein Eis tropft schon aufs Kleid.
    Bald hatte Carla den Vorfall vergessen. Erst sehr viel später sollte sie sich daran erinnern.
    Sommer verging auf Sommer und Winter auf Winter. Hans wuchs heran, fütterte mit Vorliebe jetzt selbst die Enten und zog seine Eltern, denn das waren sie ihm, auf Rummelplätze und in Zirkuszelte, ins Freibad und in den Zoo und zu allem, was das Leben an Attraktionen so bot. Natürlich unternahm man auch Ausflüge mit der Bahn. In den Spreewald, vorzugsweise auch im Winter, um dort auf den zugefrorenen Fließen mit Schlittschuhen entlangzugleiten, oder auch zum Bummel in die große Stadt Berlin. Wenigstens einmal im Jahr, pflegte Carla zu sagen, gehört der Mensch hinaus in die Welt.
    Man flanierte über den Kurfürstendamm, schleppte Hans durch das eben eröffnete Kaufhaus des Westens und saß dann zur Erholung bei Torte und Kaffee, wobei der Genuss etwas eingeschränkt blieb, da Hans, der inzwischen laufen konnte, die Ohrgehänge älterer Damen zu untersuchen wünschte.
    Auf einer dieser Fahrten registrierte Carla eine weitere Merkwürdigkeit an ihrem Brügg. Man war eben durch einen Park spaziert, als Brügg angesichts einer öffentlichen Bedürfnisanstalt um etwas Geduld bat und verschwand. Gelangweilt vom Warten auf einer Bank, rutschte Hans von Carlas Schoß und trippelte eilig durch das weit geöffnete Tor des an den Park angrenzenden Friedhofs. Carla, bemüht, ihren Zögling wieder einzufangen, eilte hinterher. Zwischen den Reihen der Grabsteine und Lebensbäume konnte sie Hans jedoch nicht entdecken. In einem Anflug von Panik lief sie rufend hierhin und dorthin.
    Endlich erblickte sie das Kind. Es stand still vor einem ulmenüberschatteten Grab und neben ihm, völlig versunken, Brügg.
    Ehe Carla heran war, hatte Brügg sich besonnen, nahm Hans auf den Arm und verließ stracks mit ihm den Friedhof.Carla folgte und hörte später nur Brüggs in den Bart gebrabbelte Ermahnung, doch besser auf das Kind zu achten. So ein Grabstein könne auch umfallen.
    An diesem Tag offerierte Brügg auf der Heimfahrt im Zug Carla die Ehe.
    Ja, sagte Carla nach einem kurzen Moment des Nachdenkens, es wäre wohl auch besser für das Kind. Von sich zu sprechen, das war sie nicht gewohnt. Und sie hätte wohl selbst nicht sagen können, ob sie diesen etwas steifen und schnauzbärtigen Mann tatsächlich liebte. Doch das Kind fühlte sich wohl in seiner Nähe. Man würde Hans Kaspar zu sich nehmen, man würde ihn adoptieren können.
    Brügg staunte, mit welcher Beharrlichkeit Carla ihr Ziel verfolgte. Sie konnte beispielsweise den Behörden gegenüber eine resolute Stimme erzeugen, die zwar ein wenig wie ausgeborgt erschien, jedoch ihren Zweck erfüllte. Hans Kaspar wurde ihrer beider Kind

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