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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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vielleicht machte dieser sanfte Wind, dass Brügg den Namen der großen Krieger ein
aber
anfügte und von einem Werk des Friedens redete, das mit dem Bahnbau nun begonnen sei.
    Brügg mochte zwar selbst noch glauben, seine Reden in erster Linie zur Erbauung seines widerspenstigen Zöglings zu halten. Doch für Hans war es nicht schwer zu bemerken, dass der Meister besonders durch die Aufmerksamkeit einer Landvermesserin angefeuert wurde.
    Die Zigarette in ihrer Hand schickte, wie um nicht ganz vergessen zu werden, ein schmales Rauchfähnchen in die Nachtluft. Sinnend hielt sie ihr Kinn auf zwei Finger der anderen Hand gestützt, als warte sie nur darauf, mit diesen Brügg ein Zeichen zu machen. Jedenfalls deutete Hans es so und hatte wohl auch gehofft, dass eine solche Geste ihn meinen könnte.
    Sie hieß Magda und hatte zu einer Zeit, da Wissenschaftler noch ernsthaft »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes« diskutierten, als einzige Frau ihres Jahrgangs ein Studium der Geodäsie abgeschlossen. Jetzt war sie Ende zwanzig und damit für den siebzehnjährigen Hans in einem Alter, das für ihn andere Aktivitäten als solche der Phantasie ausschloss. Ihr volles blondes Haar war zu einem strengen Knoten gebunden, dem über dem linken Ohr eine Strähne entwischt war. Es war nicht nur diese vorwitzige Strähne, die Hans fesselte, es war vor allem ihr kleiner, aber voller Mund, der einer reifen Kirsche glich und im Flackern der Lampen lebhaft zu zucken schien. Ihr Blick, wenn er aus dem Schatten einer Platane sich ins Licht und ihm zufällig zuwandte, der war klar und hell und leider auch ein wenig kühl. So jedenfalls empfand Hans diese deutliche Gleichgültigkeit ihm gegenüber. Sahenihre Augen jedoch zu Brügg, leuchteten sie interessiert auf.
    Carla, die zwischen Küche und Tafel hin und her eilte, lächelte nur nachsichtig zu den Worten ihres Mannes. Als sie sich endlich an Brüggs Seite niedersetzte, fand Hans sie ausgesprochen mager und blass, doch schien sie glücklich zu sein.
    Es hatte sich tatsächlich so getroffen, das Carla in der deutschen Schule der Siedlung unterrichten konnte, wenn auch nur vertretungsweise. Gern, das sah Hans ihr an, hätte sie der Runde von ihren Ideen erzählt, ihnen – wie ihm schon oft genug – von einer freien geistigen Erziehung vorgeschwärmt, ohne Prügel, ja ohne Zensuren gar.
    Brügg berührte, als habe er seine Frau eben erst bemerkt, Carlas Schulter, und er tat es so, wie er eben das Tischtuch berührt hatte, um eine Falte auszustreichen.
    In diesem Augenblick wurde Hans von einem heftigen Mitleid für Carla erfüllt. Und gleichzeitig beschloss er, Magda zu hassen. Der Meister war, dies spürte Hans, zumindest was Magda betraf, nicht mehr der Meister. Dabei, dachte Hans nicht ohne Empörung, ist sie verlobt.
    Magda leitete den Tunnelbau am Kilometer 292. Es ging das Gerücht, ihr Verlobter, der von Dorak her den Berg durchbrach, hätte geschworen, sie erst dann zu heiraten, wenn sich ihre Lippen in der Mitte des Berges zu einem Kuss vereinigen könnten.
    Deshalb, so die türkischen Arbeiter, triebe Magda sie so unbarmherzig an. Meter für Meter solle die Verzögerung durch Cholera und diverse Kriege von der Liebe wettgemacht werden: 1726 leidenschaftliche Meter. Dieser Schwur sei nun schon zwei Jahre alt.
    Ob es der zärtliche Zephir war oder Brüggs feurige Reden, es hätte nicht viel gefehlt, und der Verlobte hätte seinen Enthaltsamkeitsschwur vergebens getan. Und hätte dann nicht, wie man sich noch lange nach Abreise derDeutschen erzählte, Magda nicht nur inmitten des Tunnels geküsst, sondern an Ort und Stelle die Ehe vollzogen.
    Was am Abend unter der Platane mit Blicken begann, sollte allerdings durch Brüggs jähen Tod zu einem vorzeitigen Ende kommen.

VI
    Die Nachricht von Brüggs Tod wird Carla im zentralanatolischen Konya erreichen. Dorthin, in ein Internat, wird sie gegangen sein.
    Die Beschwerden über ihren Unterricht hatten sich gehäuft, und der deutsche Konsul hatte dazu geraten. Aber es war auch ihr eigenes Herz, das ihren Arno an Magdas Kirschmund verlorengehen sah. Und dies Letztere war wohl der eigentliche Grund, die Siedlung zu verlassen. Den anderen Widrigkeiten, mit welchen die Materie ihrem hochfliegenden Geist an den Fersen hing, hatte sie lange mit immer neuem Schwung entfliehen können.
    Ausgerechnet Magda war es, die eines Tages zu ihr sagte: Hätte ich ein Kind, ich würde mich glücklich schätzen über so eine Lehrerin.
    Carla,

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