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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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Der war nämlich Eisenbahnarbeiter und weiß, wie man Gleise verlegt! Der Nachschub für die Truppen auf dem Sinai muss endlich auf den Schienenweg gebracht werden! Das ist von strategischer Bedeutung im Kampf gegen die Engländer!
    Mein lieber General, warf Magda ein und genoss die Wirkung ihrer respektlosen Anrede, wie weit reicht Ihre –
Strategie?
Von diesen alten Kerlen, die uns das Militär übriglässt, haben wir genug. Die klopfen täglich kaum mehr als ein talergroßes Felsstück aus dem Berg. Damit haben Sie,wenn Ihre strategischen Überlegungen so weit reichen, die Bahn in fünfzehn Jahren!
    Der alte General schnaufte. Es schien, als suche er nach Worten, die die
alten Kerle
quittierten, ohne den getroffenen Hund zu verraten. Er entschloss sich, mit einem Kompliment scheinbar darüber hinwegzugehen. Mein liebes junges Fräulein, sagte er, Sie sind eine außergewöhnliche Frau. Schließlich ist eine mathematische Begabung bei Ihrem Geschlecht ebenso außergewöhnlich wie ein Vollbart. Ich hoffe also, Sie sind beim Vermessen ebenso exakt wie beim Frisieren.
    Magda setzte sich, zog ein silbernes Etui aus ihrer Jackentasche, öffnete es und wählte sorgfältig eine der darin steckenden Zigaretten aus. Die Anwesenden warteten gespannt auf ihre Replik. Als sie gelassen ein Streichholz entzündete, hörte man das Aufzischen des Schwefels. Ja, es war so still geworden, dass man das Knistern der Glut im Zigarettenpapier vernahm.
    Birghöfel war ins Schwitzen geraten. Brügg versuchte, Magdas Augen mit zur Besonnenheit mahnenden Blicken zu erreichen.
    Magda nahm einen Zug und sagte: Verdammt, General, Sie haben recht. Ich vergaß, mich heute Morgen zu rasieren.
    Alle lachten. Erleichtert klatschte Birghöfel in die Hände: Nun aber ran an die Arbeit!
    Wir wissen, wenn Arno Brügg selbst es auch nicht mehr erleben sollte, dass nach vier Jahren zwar die Felsen des Taurus besiegt sein sollten, der Krieg aber verloren war. Sultan wie Kaiser wurden Exilanten. Dabei sollten die Deutschen ihrem Kaiser nicht vorwerfen, dass er, wenn er den Krieg vielleicht nicht begonnen, so doch seinen habsburgischen Vetter dazu ermutigt hatte. Sie trugen ihm vielmehr nach, dass er ihn verloren hatte, dass er sie hatte hungern lassen, dass er Väter, Ehemänner und Söhne umsonst hattesterben lassen. Solange es die anderen waren, die verloren, verhungerten und starben, hatten sie ihm zugejubelt. Und so sollte es mit ihrem nächsten Großen Feldherrn wieder sein.
     
    Im zeitigen Frühjahr betrat durch die vom Meister beschworene Kilikische Pforte Ahmad das Leben Hans Kaspars. Der lag, wie er es gerne tat, weit abseits von Siedlung und Bahnlinie unter einer alten Zeder und bedachte, besser gesagt, durchträumte seinen Plan, doch noch dabei zu sein im Großen Krieg. Ringsum blühten wilde Tulpen und Anemonen, es summte und surrte, tief unten rauschte der Fluss.
    Hans Kaspar glitt hinüber in jenen Zustand zwischen Wachen und Schlaf, in dem die Türen zwischen den Welten innen und außen sich öffnen.
    Ein Windhauch strich über sein Gesicht. Nein, kein Windhauch, ein Atem. Ein Atem, heiß und von schwerem, ja unangenehmen Geruch. Hans wandte seinen traumschweren Blick über die Schulter nach oben. Über sich sah er einen mächtigen Schädel, der war bedeckt mit rotbraunem und weißem Fell, scharf mit schwarzen Streifen gezeichnet.
    Hans hatte noch niemals einen Tiger gesehen, doch wenn es Tiger gab, und es sollte sie tatsächlich geben, dann war dies ein Tiger. Wäre Hans sich nicht sicher gewesen, zu träumen, denn wie sollte ein Tiger sich in den Taurus verirren, vielleicht hätte ihn dann Todesangst gelähmt oder zu einer sinnlosen Flucht getrieben. So aber erwartete er nur sein Erwachen.
    Da sprach der Tiger zu ihm. Er sagte etwas, das Hans nicht verstand und von dem er vermutete, dass es auf Arabisch gesagt war, etwas, das sogleich auf Türkisch, wovon er schon einiges verstand, wiederholt wurde: Fürchte dich nicht!
    Dies erschreckte Hans nun doch. Wäre die Stimme tatsächlich aus dem Maul des Tigers gekommen, hätte er um seinen Verstand gebangt. So aber tauchte nun über dem Kopf des Tigers ein zweiter Kopf auf, der, obgleich kaum weniger wild mit Haaren bewachsen, doch einem Menschen gehörte. Dieser Mensch war Ahmad.
    Ahmad kam von Süden her, aus Indien, ritt bisweilen auf seinem Begleiter, dem Tiger, und nannte sich selber einen Feldherrn Gottes. Sein von vielfarbigen Flicken zusammengehaltener Mantel und sein Gehabe glichen

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