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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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die Magda zu diesem Zeitpunkt schon gemeinsam mit Brügg eines Abends im Tunnelstollen hatte verschwinden sehen, kam nicht umhin, das Wort
Schlange
zu denken. Doch ein Lob, von wem auch immer, ermutigt. Die beiden Frauen wären ohne Brüggs heimlichen Wechsel von Carlas sanftem Kräuselmund zu Magdas heftig prallen Lippen wohl sogar Freundinnen geworden.
    Die anderen Ingenieure waren Ingenieure und gaben folglich handfesten und nachrechenbaren Dingen den Vorzug. Namentlich Sektionsingenieur Birghöfel, der sich gerne mit
Herr Architekt
anreden ließ, beschwerte sich. Mit Künstlerschleife um den offenen Kragen und flott gewelltem Haar trat er eines Tages um die Mittagszeit ins Klassenzimmer und stellte nach einigen flüchtigen Komplimenten unvermittelt die Frage: Warum sein achtjährigerSohn noch keinen vollständigen Satz zu lesen, geschweige denn zu schreiben vermöge.
    Carla entgegnete lächelnd: Er ist nun mal etwas langsam, Ihr Sohn. Seine Seele ist in dieser Welt noch nicht richtig zu Hause. Das wird schon!
    Das wird schon?! Mein Sohn ist nicht langsam, wenn hier jemand langsam ist, dann sind Sie es! Sie sollten mit den Kindern weniger singen denn lesen und rechnen. Überhaupt: Seele!? Was soll dieser Mumpitz in einer Schule.
    Ein andermal kam eine aufgebrachte türkische Mutter zu ihr. Ihre beste Milchziege habe sich verstiegen, und warum? Weil ihr Sohn, statt die Tiere zu hüten, hier sitze und Maulaffen feilhalte.
    Kurz darauf riet ihr wiederum Birghöfel dringend, mit ihren Sozi-Methoden keine Unruhe in die einheimische Bevölkerung zu tragen. Dabei hatte sich Carla lediglich erboten, abends die Arbeiter der Bausektion zu unterrichten.
    Die Türken seien gute Arbeiter, sagte Birghöfel, das reiche. Wozu lesen, wozu rechnen?! Wenn Carla ihnen wenigstens deutsche Disziplin lehrte! Einige Aufrührer stellten schon jetzt ungehörige Forderungen, mal sei der Lohn zu gering, mal wären die Felsen zu hart. Er wünsche nicht, dass es ihm ergehe wie seinem Vorgänger, den man erschlagen habe.
    Es könne doch nicht schaden, verteidigte sich Carla, wenn die Türken Goethe verstünden. Und genauso wenig, fügte sie hinzu, kann es Ihnen schaden, die Türken zu verstehen.
    Birghöfel stutzte, dann gab er einen Schwall türkischer Worte von sich. Ich, sagte er und wandte sich zum Gehen, kann Türkisch.
    Carla rief ihm nach, ich sprach nicht von Sprache, ich sprach von Verständnis!
     
    Dies alles war an jenem lauen Septemberabend unter der Platane noch Zukunft. Da wurden die neu eingetroffenen Landsleute mit Trinksprüchen und Glückwünschen in sich überbietender Herzlichkeit willkommen geheißen, und Carla betrachtete alle, auch Magda, noch mit freundlicher Neugier. Selbst Birghöfel, der sich spreizte wie ein junges Hähnchen, amüsierte sie nur. Er bekräftigte wiederholt, wie glücklich er darüber sei, dass dieser Bastion deutschen Wesens solche Verstärkung zuteilgeworden sei. Er sei überzeugt, dass diese Siedlung zur Keimzelle einer neuen deutschen Kolonie werde, und er schlage vor, sie deshalb, in Würdigung deutscher Kriegserfolge, Neu-Tannenberg zu nennen. Schließlich habe bei Tannenberg, wie jeder wisse, das deutsche Volk einen grandiosen Sieg über die Russen errungen. Einen Sieg, sagte er, der uns Ansporn sein sollte: Willkommen also in Neu-Tannenberg.
    Brügg, von der furiosen Ankunft der unliebsamen Historie in der Gegenwart irritiert, verlor schlagartig seine Laune.
    Magda bemerkte lakonisch: Wie wäre es mit Wermutsdorf. Von diesem Kraut wächst hier das beste. Übrigens, mein lieber Birghöfel, es hilft vorzüglich gegen Blähungen. – Vielleicht auch, fügte sie leise hinzu, gegen solche des Geistes.
    Auch der im Auftrag seiner Bank den Fortgang der Bauarbeiten begutachtende Herr mit dem für einen Mann des Geldes unpassenden Namen Klamm bremste den patriotischen Eifer des Sektionsingenieurs. Mein lieber Birghöfel, wozu Kolonien? – Lassen Sie den Türken wirtschaften, wie, und glauben, woran er mag. Die Hauptsache ist, er kauft seinen Stahl in Deutschland. Und nicht in Frankreich.
    Das, so ereiferte sich Birghöfel, ist jüdisches Denken.
    Der so Kritisierte zündete sich seelenruhig eine Zigarre an und entgegnete schließlich: Wenn Sie erlauben, jungerFreund, eine Frage: Da meine Frau Jüdin ist und mein Sohn demzufolge Halbjude, welche seiner Hälften wurde dann – bei Tannenberg übrigens – von den Bleikugeln eines russischen Schrapnells zerfetzt?
    Birghöfel schwieg betreten.
    Klamm hob

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