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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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sein Glas, lachte kurz auf und sagte: Es war die rechte. – Kommen Sie, Birghöfel, darauf trinken wir! Auf Tannenberg und alles, was da liegen blieb!
    Auf Hindenburg, entgegnete der.
    Später sangen beide gemeinsam ihre Gläser schwingend:
    Gehn sie baden, gehn sie baden, das ist schön. Denn Russen müssen auch mal baden gehn!
     
    Wenige Wochen darauf hatte sich das Osmanische Reich mit einem Angriff auf den russischen Schwarzmeerhafen Feodosia endgültig aus der Neutralität an die Seite der beiden deutschsprachigen Monarchien und damit in den großen Krieg geschossen.
    Arno Brügg, das Marmeladenbrot zwischen den Zähnen, las die Meldung in seiner
Täglichen Rundschau: Der Krieg aller gegen alle hat endlich begonnen!
Nein,
endlich
stand da nicht, aber in diesem Satz, ja in dem ganzen Beitrag schwang es mit, dieses ungedruckte
endlich!
    Birghöfel sprach es während der morgendlichen Dienstbesprechung aus: endlich!
    Endlich, sagte er, in diesem historischen Augenblick stehen nicht mehr nur die Osmanen an unserer Seite. Nein, dreihundert Millionen Mohammedaner werden ihrem Kalifen folgen, wenn er den Heiligen Krieg ausruft. Indien, Persien, Ägypten, ganz Nordafrika werden unser. Das ist das Ende der Entente!
    Er sprach’s, wie man’s schrieb – das Ende der Entente –, und freute sich dieses Spiels.
    Das Ende? Das Ende ja, aber was für ein Ende! Brügg fühlte sich in diesem Moment sehr einsam. Doch er wagtenicht, keiner wagte es, Birghöfels
historischen Augenblick
zu stören. Nicht einmal Magda machte eine ihrer üblichen ironischen Bemerkungen. Sie sah schweigend zu Brügg und hob dabei nur leicht die Brauen.
    Der, von diesem Blick ebenso irritiert wie von Birghöfels Geschwätz verärgert, kaute nervös auf seiner kalten Pfeife.
    Auf dem Tisch lagen die Baupläne der Trasse, draußen grieselte es grau durch den beginnenden November. Deutschlandwetter, dachte Brügg, zog seinen Tabaksbeutel und stopfte seine Pfeife. Sie war aus Meerschaum geschnitten und ein Geschenk Carlas.
    Carla, ach Carla. Ihr ungläubiges Staunen, als er vor nunmehr siebzehn Jahren das Waisenhaus betrat und die große grüne Reisetasche öffnete, worin der damals noch namenlose Hans lag. Wie kann einer so einen Schatz aufgeben?! – Ihr fast scheues Lächeln, wenn sie, sinnend von einem Buch aufsehend, bemerkte, dass er sie ansah, schon lange angesehen hatte. – Oder kürzlich, ihr ungewöhnlicher Temperamentsausbruch, als die Frau des Stationsvorstehers dem Hütejungen wegen eines entlaufenen Kalbes eine Ohrfeige verpasste. Carla hatte die resolute Frau an den Armen gepackt, aus dem Klassenzimmer gedrängt und ihr hinterhergeschrien: Schlagen Sie doch Ihre Ziegen! – Carla, und noch einmal: ach, Carla.
    Was stirbt, wenn die Bilder eines gemeinsamen Lebens vorüberziehen?
    Der Krieg aller gegen alle hatte begonnen.
    Arno kämpfte gegen Carla, Carla gegen Arno. Sie wollte Hans nach Konya schicken, damit er dort das Abitur mache. Das veranlasste Arno zu der Bemerkung: Wieso interessiert dich plötzlich irgend so ein Schulzeugnis?!
    Er nämlich wollte Hans in seiner Nähe halten, wollte ihn hier zu einem tüchtigen Eisenbahner machen. Und Hans selber? Der kämpfte mit hartnäckigem Schweigenund wollte scheinbar nur noch seine Ruhe. Stundenlang trieb er sich in den Bergen umher und sammelte Steine.
    Arno wusste, es war nicht nur das, was ihn und Carla entzweite. Etwas anderes war mit den Jahren verlorengegangen. Ein Gefühl, über das sie sich einander nie erklärt hatten. Scheinbar selbstverständlich. Nun aber wurde es spürbar als ein Verlust.
    Er inhalierte tief, und ihm schien in diesem Moment, dass er dieses eine, ihre gemeinsame Liebe, wie den Rauch noch einmal tief in sich aufnehmen könnte.
    He, Brügg, bemerkte Magda, vergessen Sie das Atmen nicht. Oder hat Ihnen unser Großstratege die Sprache verschlagen? Wie weit sind die Gleise auf dem Viadukt vorm Tunnel verlegt? Kann der Bauzug nicht bald näher ran?
     
    Zu Beginn des Jahres 1915 häuften sich die Besuche aus Konstantinopel. Nicht nur Abgesandte der Hohen Pforte, auch deutsche Offiziere kamen, schnarrten kluge Sätze und verschwanden wieder. Sogar der greise Freiherr von der Goltz, Generalinspekteur der türkischen Truppen und vom Sultan mit dem Ehrentitel Pascha versehen, bemühte sich ins Gebirge.
    Im Gespräch mit Birghöfel drang er auf einen zügigeren Fortgang der Arbeiten: Kriegsminister Enver Pascha lässt anfragen, ob er denn seinen alten Vater schicken soll.

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