Der Lavagaenger
näherte.
Hans hatte die schwärmerischen Anfälle Carlas und die weltpolitischen Vorträge des Meisters mit grimmig verschränkten Armen über sich ergehen lassen. So leicht ließ er diesen Zieheltern seine Entfernung von den Schauplätzen einer großen Epoche nicht durchgehen. Jetzt auch noch nach Asien hinüber!
Sie überquerten mit einem kleinen Dampfer das Meer, um in Haidar Pascha die Anatolische Eisenbahn zu besteigen. Auf der großen Freitreppe vor dem neuen Bahnhofsgebäude, das mit seinen Erkern und Türmchen gut in Nürnberg oder Dresden hätte stehen können, entfuhr Brügg der für seine Wesensart euphorisch zu nennende Ausruf: was für ein Bauwerk!
Im Inneren des Empfangsgebäudes mischten sich Arabesken mit wilhelminischem Prunk, und mächtige Rundbögentrugen die stuckverzierte Decke. Das, mein Junge, sagte Brügg stolz, haben Deutsche gemacht!
Da bis zur Abfahrt des Zuges, die auf schwarzen Anzeigetafeln in Deutsch, Französisch und Türkisch angekündigt war, noch Zeit verblieb, sah man sich draußen am Hafen um. Große Kräne verluden die Frachten der ankommenden Schiffe direkt in bereitstehende Güterwagen. Baumaterial und Maschinen, mein Junge, für unsere Bahn.
Brüggs Augen leuchteten wie lange nicht, und Carla hing glücklich lächelnd an seinem Arm. Nur Hans zeigte an dem Geschehen wenig Interesse. Vielmehr bemühte er sich, in einer der Fensterscheiben den Sitz seines Scheitels zu überprüfen. Doch da, Hans fuhr herum und suchte, was ihm das spiegelnde Glas gezeigt hatte. Da, jetzt schnellte sein Arm unwillkürlich nach vorn und deutete auf ein deutsch beflaggtes Schiff. Ein Kreuzer!, rief er und rannte zum Pier.
Ärgerlich folgte ihm Brügg und kommandierte: Komm jetzt, unser Zug fährt gleich ab!
Mürrisch fügte sich Hans. Während der nächsten Stunden war das Abteil von seinem abweisenden Schweigen erfüllt.
Erst als Hans am nächsten Morgen im Zug erwachte und er unweit der Bahnlinie eine Karawane entlangziehen sah, entdeckte Carla in seinem Gesicht eine kindlich freudige Erregung. Seufzend strich sie über sein dunkel glänzendes Haar.
Kamele sah Hans später fast täglich, wenn sie beladen mit Baumaterial, nach tagelangen Märschen vom Hafen von Mersina kommend, in den Taurusbergen eintrafen. Ebenso wie die hoch bepackten Esel, angetrieben von den heiseren Rufen der Treiber.
Die Brüggs bezogen dort ein Haus – sogar aus Stein, bemerkte Carla erleichtert – in einer deutschen Siedlung an der Station Belemedik, wo Brügg die ordnungsgemäßeVerlegung der Gleise durch die einheimischen Arbeiter zu überwachen hatte.
Die Bauarbeiten in diesem Abschnitt waren nicht ungefährlich, denn die Trasse führte entlang der tiefen Schluchten, die der Çakit in die Felsen des Taurus gegraben hatte. Tunnel mussten mühsam gebaut und Viadukte über schwindelerregende Höhen geführt werden.
Nach den ersten Wochen der Eingewöhnung luden die Brüggs die benachbarten Familien der deutschen Ingenieure und auch den zu einer Inspektion anwesenden Vertreter der Deutschen Bank zum Essen ein. Es war ein warmer Septembertag gewesen, der einen milden Abend versprach. So hatten die Männer Tisch und Stühle ins Freie getragen. Man aß und trank und saß bis in die Nacht beim Schein von Windlichtern und Petroleumlampen unter der großen Platane vorm Haus.
Brügg gab nach einigen Gläsern Wein seine übliche Zurückhaltung auf und begann, sich bei seinen neuen Kollegen als Kenner der Region einzuführen. Unweit von hier, so referierte er, unweit von hier befindet sich die Kilikische Pforte, durch die alle ziehen mussten, die in den Orient, nach Persien, Jerusalem oder gar bis Indien wollten. Alle, betonte Brügg, von Alexander dem Großen bis Barbarossa, der unglücklicherweise kurz darauf beim Bade ertrank. Und nun, Brügg machte eine bedeutungsvolle Pause, wir!
Er stockte erneut, diesmal unterbrochen vom belustigten Kichern einer Frau. Ich meine … stammelte Brügg, nicht ertrinken, natürlich nicht, sondern durch … durch die Pforte …
Da war der kriegsunlustige Brügg seinem eigenen Pathos nicht nur grammatikalisch in die Falle gegangen, sondern er stellte sich gleichsam freiwillig ins Glied neben weitere Feldherren, deren Namen der eine oder andere in die sternbeschienene Runde zu werfen wusste. Ja, ihm schien,als brächte der Atem der Geschichte in diesem Moment die Petroleumlampen zum Flackern.
Doch es war nur der Zephir, der vom Meer her mild durch die Bergregion strich. Und
Weitere Kostenlose Bücher