Der Lavagaenger
seine Fundstücke zusammen.
Warte, sagte Ahmad und legte besänftigend die Hand auf Hans’ Arm, vielleicht wollte er, dass sich seine Seeleschneller vom Leib wieder trennt. Dass der Leib zu dem wird, was er, wie alle Dinge, war: Feuer und Wasser, Erde und Luft. Und dass auch die Seele wieder wird, was sie war: ein Teil des göttlichen Geistes, der das Universum durchweht.
Die gegenüberliegende Seite der Schlucht lag schon im Dämmer, da wurde der Tiger unruhig.
Für heute, sagte Ahmad, ist unser Weg noch nicht zu Ende. Lass mich dir zum Abschied ein Lied schenken. Und Ahmad begann, sein Pferdchen, wie er sein Instrument nannte, zum Singen zu bringen. Mit einem kleinen Bogen strich er die Saiten aus Rosshaar, dass ein rhythmisches Brummen, dessen Tonlage er mit der linken Hand variierte, dem Zedernholzkorpus entstieg. Nach einer Weile legte sich über den Klang des Instruments seine Stimme in kehligen, langgezogenen Tönen.
Der Tiger wurde ruhig und legte den Kopf auf die Pfoten. Das Lied, so viel verstand Hans Kaspar, erzählte von einem jungen Mann, der hohe Berge überstieg, um sein Glück zu finden.
Auf einem Pfad am gegenüberliegenden Hang zog ein Trupp Bewaffneter vorüber. Sie schienen kurz zu verharren, als lauschten sie der Musik, doch dann verschwanden sie eiligst hinter dem nächsten Felsvorsprung.
Obwohl die Märzsonne jetzt kaum noch wärmte, war Hans wohlig warm, und Ahmads Gesang versetzte ihn erneut in den seltsamen Zustand zwischen Wachsein und Schlaf.
Dies, sagte Ahmad und legte leise sein Instrument zur Seite, war die erste Strophe. Jetzt ist es Zeit.
Der Tiger hob den Kopf.
An diesem Abend kehrte Hans Kaspar von seinem Ausflug in die Berge nicht zurück. Birghöfel trommelte noch mit Einbruch der Dunkelheit alle Männer zusammen.Zwei Trupps, einer unter Brüggs, der andere unter Birghöfels Führung, machten sich, mit Fackeln und Lampen, rufend und in Abgründe leuchtend auf die Suche. Als gegen Mitternacht heftiger Regen einsetzte, kehrten sie um. In dieser Nacht nahmen im Hause Brügg die gegenseitigen Vorwürfe kein Ende. Der Streit gipfelte in Carlas Feststellung: Du wolltest ihn doch hierbehalten. Aber aufgepasst auf ihn hast du nicht. Musstest ja dieser blonden Bergziege nachsteigen! Hans hast du doch nie geliebt.
Was Brügg seiner Frau daraufhin entgegnete, war kaum gesprochen, fast nur geflüstert. Aber es war geeignet, Carla in heftiges Weinen verfallen zu lassen. Brüggs Offenbarung hatte nichts mit Magda zu tun, jedoch alles mit Hans.
Wie könnte ich Hans nicht lieben, sagte er leise, er ist doch mein Sohn.
Das fand Carla, nach einer Weile ungläubigen Staunens, noch wunderbar.
Die Geschichte, die folgte, war aber derart, dass Carla sie für frei erfunden und zu ihrer groben Verletzung gedacht hielt.
Arno behauptete nämlich, Hans sei das Kind einer Tänzerin.
Vom Theater?
Nein, sie tanzte in einem Berliner Nachtlokal.
In einem Nachtlokal? Eine Hure! Du bist zu Huren gegangen?
Nein. Hans ist nicht das Kind einer Hure. Sie war eine … Künstlerin …
Niemals!
Margarita war keine Hure.
Margarita?
Ja, Margarita Wolkenfuß.
Du lügst. Du willst mir weh tun!
Es ist so. Und so war es gewesen. Du hast ihr Kind einfach mitgenommen …?
Nicht einfach … Ihr Leben oder das des Kindes. Das hat der Arzt gesagt.
Und du hast …?
Nein, sie selbst hat entschieden. Sie wollte es so.
Ach, dachte Carla nur, damals, als sie Hans das erste Mal im Waisenhaus sah, als sie ihn maß und wog und wickelte, hatte sie da nicht an einen Satz dieses merkwürdigen Vortragsreisenden namens Steiner denken müssen, den Satz vom Findelkind Hauser, das Welten verband und dem Hans seinen zweiten Namen Kaspar verdankte? Zu welcher Welt war Hans Kaspar nun die Verbindung?
Sie barg ihr Gesicht in den Händen und flüsterte: Schade um die Mutter … Schade um … Plötzlich hob sie den Kopf. Sag, Brügg, wer war diese Frau, damals an der Spree.
Er zuckte mit den Schultern. Eine Verwandte Margaritas vielleicht? Ich weiß es nicht.
Und der Friedhof in Berlin, das Grab …?
Ja, sagte Brügg, dort liegt Margarita.
Schade, schade, sagte Carla, schade um
uns
. Ach, wenn wir Hans nur wiederfinden …
Der Morgen fand die beiden Arm in Arm beieinanderliegend im Schlaf. Doch es war nicht mehr die Liebe, sondern nur die Verzweiflung, die sie beieinander hielt.
Auf Brüggs Bitte hin erlaubte ihm Birghöfel, am Morgen weiterzusuchen, ja er gab ihm sogar noch zwei von den einheimischen
Weitere Kostenlose Bücher