Der Lavagaenger
eher der Parodie eines Befehlshabers. Seine rote Kopfbedeckung war kunstvoll bestickt und sicher einst prächtig zu nennen gewesen. Der zottelige Schafspelz am unteren Rand seiner Mütze verschmolz fast übergangslos mit dem langen Kopf- und Barthaar. Ein Kälberstrick diente ihm als Gürtel und hielt zugleich einen am unteren Rand aufgeplatzten Stahlhelm, der ihm Almosenschale, Essnapf und Kissen zugleich sein mochte. Ein zweisaitiges, mit einem Pferdekopf verziertes Instrument, das er mal wie eine Laute, mal wie eine Geige spielte, trug er mitunter vor sich her wie einen Marschallstab. Er pflegte Felsen und Bäumen Befehl zu erteilen, ihm aus dem Wege zu gehen. Wenn er es dann selber tat, kommentierte er dies mit der Bemerkung, ein weiser General gehe seiner Truppe mit gutem Beispiel voran.
Ahmad war ein Derwisch und hatte seine Jugendjahre in einer Kairoer Bruderschaft verbracht. Später, als er seine Liebe zur Musik entdeckte, die seine Bruderschaft als gottlos verdammte, verließ Ahmad die Stadt am Nil.
Die Vögel singen, und wenn wir es hören könnten, gewiss auch die Fische, wie kann gottlos sein, was Gott geschaffen hat?
Ahmad wurde ein
bi-shar’
, ein Gesetzloser, einer jener Wanderderwische, die seit Jahrhunderten die Länder des Ostens durchstreiften.
Immer auf dem Weg zu Gott, sagte Ahmad. Nein, nicht allein in einer klösterlichen Zelle, nicht in der Höhle des Einsiedlers, überall – auf den Märkten, auf den Straßen, in den Hütten, in den Gärten, in den Wüsten –, überall sei Gott zu finden.
So lebte Ahmad auf der Schwelle zwischen Innen und Außen, zwischen der Welt des Geistes und der Welt der Dinge. Nichts anderes, sagte er, bedeute es, ein Derwisch zu sein. Dabei war er, wie er sagte, sein eigener Herr. Sein eigener Herr auf Gottes weitem Feld, ein Feldherr eben. So war er, von Indien kommend, durch Persien gewandert, hatte er auf Festen sein Gaukelspiel getrieben, sich hier mit seinen Liedern zum Preis Gottes oder dort mit Heilkünsten zum Wohl der Menschen Beifall und eine Mahlzeit für sich und den Tiger verdient.
Hans nahm diese Stelle in Ahmads Bericht zum Anlass, aus einer ledernen Tasche, in der er neben seinen steinernen Fundstücken auch immer eine Mahlzeit verwahrte, ein dickes Wurstbrot zu ziehen.
Jetzt aber, berichtete Ahmad, während er dem Tiger die Wurstscheiben zuwarf, habe er sich auf den Weg nach Konya begeben, um seine alten Tage im Konvent der Mevlevi zu verbringen, dort, wo man zur Feier Gottes zu musizieren und zu tanzen pflegt.
Nun, hielt Ahmad fragend inne, was bist du für ein Monsieur?
Die ersten Ausländer von jenseits des Bosporus, die Ahmad kennengelernt hatte, waren Franzosen gewesen. Seither waren für ihn alle Europäer Monsieurs.
Deutscher bin ich, fauchte Hans. Seine erregte Entgegnung war noch aufgeladen vom Erschrecken beim Anblick des Tigers. Aus Deutschland, bekräftigte er, und da heißt es Herr.
Gut, gut, Herr aus Deutschland, besänftigte Ahmad. Und wohin führt der Weg des Herrn?
Hans musste über die Doppeldeutigkeit der Frage lachen. Dann seufzte er: Wenn ich das wüsste. Er begann von der Siedlung, vom Bahnbau und vom Großen Krieg zu erzählen. Dort zu sein und hier zu bleiben, ihm sei beides unmöglich.
Was hast du da noch in deinem Rucksack?
Steine.
Zeig sie mir, deine Steine.
Ahmad wog einen nach dem anderen in der Hand: ein Bröckchen braun, mit schwarzen Sprenkeln, ein anderes grün-weiß schimmernd wie eine Schlangenhaut, ein Stück scharfkantiges kalkweißes Geröll und ein besonders schöner schwarzer Stein, grau-grün gebändert, ins Rötliche übergehend. Diesen letzten drehte und wendete Ahmad, hielt in gegen das Licht des späten Tages und sagte: Das wäre auch ein guter Beruf, Steinefinder.
Ahmad, sag mir, was waren die Steine früher. Ich meine, waren sie immer schon da.
Früher, Ahmad wiegte den Kopf, früher waren sie alles.
Alles?
Ja, alles. So wie wir, wie wir Menschen. Und jetzt: bist du ein großer Junge, entschuldige, ein junger Herr mit großer Lust auf große Kriege. Und ich, ich bin ein Derwisch. Ich hätte auch, da siehst du ihn, dieser Falke werden können. Oder hier, dein Schlangenstein.
Das verstehe ich nicht. Alles? Wie sieht es aus dieses Alles?
Sieh dich um. Oder frag … frag Empedokles.
Wo finde ich diesen Empedokles?
Im Ätna. Dort siehst du, was die Steine, was alle Dinge vorher waren. Er ist hineingesprungen, wollte es wohl aus der Nähe sehen. Ahmad lachte.
Hans packte ärgerlich
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