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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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Kaspar blieb in Konya, verdiente sich mit Gelegenheitsarbeiten einige Lira und besuchte Carla jeden Tag im Krankenhaus. Jedes Mal nahm er sich vor, ihr zu erzählen, wie er nach Belemedik heimgekommen war, wie er sich mit seinem Vater gestritten hatte, wie der dabei gestürzt war …
    Doch Hans Kaspar schwieg. Und natürlich schwieg er vom Anlass des Streits auf der Brücke, denn von Toten gut nur zu sprechen hilft, sich selbst Schmerz zu ersparen.
    Manchmal jedoch, sollte Ahmad später sagen, ist der Schmerz ein dunkles Tor, hinter dem die Freiheit wartet. Doch zu der Zeit waren Schmerz und Tor für Hans Kaspar vielleicht noch nicht groß genug. Er musste erst noch Carla verlieren und seine erste Liebe: Siyakuu.
     
    Siyakuu …?
    Als Tante Erdmuthe diesen Namen erwähnte, tat sie es beiläufig und, wie es Helder schien, ein wenig widerwillig. Ja, sie leugnete strikt, dass diese Person, wie sie sagte,mehr als eine flüchtige Affäre seines Großvaters gewesen sei.
    Da war, so schien es Helder, die alte Dame doch etwas von Eifersucht getrieben. Verwunderlich fand er das vor allem deshalb, weil diese
Affäre
doch vermutlich stattgefunden hatte, bevor Hans Kaspar die Schwestern Erdmuthe und Henriette Stickenbacher überhaupt kennenlernte.
    Nein, sagte Erdmuthe bestimmt, dazu weiß ich nichts zu sagen, da erinnere ich mich nicht, da hat Hans nie von gesprochen.
    Und sie, Erdmuthe, müsse es doch wissen, schließlich hätten der Hans und sie und ihre Schwester Henriette jahrelang unter einem Dach zusammengelebt. Dann wollte sie wieder von ihrer Insel reden. Helgoland, du weißt doch, Junge, das ist unsere Insel.

VIII
    Ein Felsen im nebligen Meer, darauf eine verwirrte alte Frau, das war das Bild, das sich für Helder auftat, wenn Tante Erdmuthe von Helgoland sprach. Dann wurde es Zeit, das Gespräch zu beenden. Das tat Helder, wünschte Erdmuthe viel Erfolg beim Mensch-ärgere-dich-nicht und verließ das Heim. Draußen krochen die ersten Frühblüher aus den Rabatten, und Helder vermeinte ein bisschen den Frühling zu riechen. Vielleicht sollte er ans Meer fahren. Nein, bloß nicht nach Helgoland. Rügen, ja, das wäre es. Ihn überkam so eine Caspar-David-Friedrich-Stimmung: Auf dem Kreidefelsen sitzen, den Mond anschauen und darüber nachdenken, was sein Leben bestimmt hatte. Also Rügen.
     
    Da drüben, der Arm des Vaters hatte sich nach Feldherrenart Richtung Südwesten gestreckt, da drüben liegt Hiddensee. Eine Insel, verboten für alle, die den Preis für ihr Quartier nicht mit einem Schinken oder zumindest der Aussicht auf nützliche Verbindungen – womit, mein Sohn, nicht etwa Zugverbindungen gemeint sind – aufstocken können. Aber hier, auf Kap Arkona, ist der nördlichste Punkt der Republik!
    Das hatte Helders Vater stolz verkündet, so, als hätte er diesen Punkt soeben entdeckt, erreicht nach langer abenteuerlicher Expedition wie Amundsen den Südpol.
    Die Großmutter in ihrem Rollstuhl war nicht in der Lage, die Bedeutung des Augenblicks zu ermessen, und verlangte nach einer Bockwurst.
    Muss sie dauernd essen?, zischte der Vater vergrämt.
    Aber Bertram, sie hat doch sonst nichts!, zischte die Mutter zurück.
    Und die Gegend hier? Ist das etwa nichts!? Habe ich extra … ach, was soll’s … der Vater wirkte, als zöge er seinen soeben gehissten Entdeckerwimpel wieder ein.
    Hatte er doch extra, obwohl das, wie er mehrfach bekundete, seiner Eisenbahnerehre widerstrebte, in einer langwierigen Prozedur, die nachzuvollziehen Helder als Kind unmöglich war, ein Auto beschafft. Eines Tages hatte der Wartburg vor dem Haus am Bahndamm gestanden, in das die Helders auch aus großmutterpflegerischen Gründen umgezogen waren. Stand da, das Auto, grün und weiß überdacht, weswegen Tante Erdmuthe es auch Kilimandscharo nannte.
    Es herrschte eine feierliche Stimmung, als der Vater Tür um Tür öffnete, neben technischen Details wie Höchstgeschwindigkeit und Pferdestärken, die mehr für Henris Ohren bestimmt waren, den Frauen die Ausstattung erläuterte, die Art der Sitzbezüge und Dachbespannung, die er Himmel nannte, um weiter den Gebrauch von Fensterkurbeln und Aschenbechern zu erklären. Daraufhin wurde der Kofferraum geöffnet, um probehalber Großmutters Rollstuhl hineinzubugsieren, den der Vater in langen Werkstattabenden in ein zusammenfaltbares Exemplar verwandelt hatte. Zum Schluss wies er einem jeden einen Platz an, wobei er Henris
Oh-ich-wollte-aber-vorne-sitzen
ignorierte.
    Just in diesem

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