Der Lavagaenger
metaphysischen Gegenspieler neutralisiert haben.
Es war also entschieden. Erdmuthe ließ ihre Schwester fortan allein mit Hans Kaspar über die Schwanenweiden spazieren. Sie hielt sich so lange zurück, bis das Schicksal seine Entscheidung zumindest teilweise korrigierte.
Der Ausgang dieses Experiments beeinträchtigte auch die Forschungen Charlotte Stickenbachers, die ja von dem versteckten Helfer nichts ahnte. Ihr sensitives Vermögen, das bei ihren Töchtern eine gleichermaßen heftige odische Lohe wahrgenommen hatte, war irritiert. So sehr, dass es bei der entscheidenden Begegnung mit dem Anführer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei im Juli 1932 versagte:
Vierzigtausend jubelnde Menschen auf der Cottbuser Rennbahn und mittendrin Charlotte. Als der Parteichef sich einem Spalier näherte, drängte auch sie nach vorn. Verwundert über Charlottes Rührlosigkeit inmitten kreischender und winkender Frauen, fixierte sie der Wahlkämpfer mit einem magischen Blick. So standen sie sich einen kurzen Moment gegenüber. Auge in Auge rangen zwei Welten. Da sank Charlotte ohnmächtig zusammen, was der künftige Feldherr mit befriedigtem Lächeln registrierte.
So war ihr odisches Attentat, wie spätere Attentate auch, gescheitert. Weder sie noch andere konnten verhindern, dass ihre Tochter Henriette eines Tages, wenn auch nicht verwitwen, so doch zur andauernden Strohwitwenschaft verurteilt sein würde. Ein Alleindasein, das, wie schon das Charlottes, in deutscher Politik und klassischer Physik – hier ein Magnet, da eine diffusionsoffene Gummidichtung – begründet war.
Charlotte aber sollte das nicht mehr erleben müssen, denn ihre Ohnmacht war, medizinisch betrachtet, die Folgeeines geplatzten Äderchens im Gehirn. Mehrere Wochen lag sie stumm und reglos im Krankenbett, neben sich auf dem Nachttisch die von ihren Töchtern dort aufgestellte Odische Mühle. Die Mühle drehte sich ununterbrochen, und in einer wolkenlosen Sommernacht rotierte sie so heftig, dass sie abhob und sich durch das geöffnete Fenster zu den Sternen in Bewegung setzte. Charlotte Stickenbachers Leben nahm sie mit. Zu den Sternen? Nicht gleich.
Wir, die wir mitunter versucht sind, Adolf Hitlers filmisch dokumentierte Auftritte nicht weniger komisch zu finden als Charlie Chaplins Tanz mit dem Globus, halten durchaus für möglich, dass Charlottes Odische Mühle, bevor sie die Erde verließ, einen Abstecher zur Reichskanzlei machte. Die leider nicht zu Ende veröffentlichten Tagebücher
Führer Hitlers
vermerken nämlich für die Nacht des 27. Juli 1934 ein merkwürdiges Ereignis:
Hatte interessanten Traum. War wieder in Wien UND berühmter Künstler. Lehrte an der Akademie. Malte: Gelbkreuz, Blaukreuz. (Genial: den letzten Krieg vorausgeahnt: das Gas!) Farbige Wolken, farbiger Regen, farbige Pfützen. Ich denke: Gott sei Dank!, kein Gas.
Frauenstimme (hysterisch): nicht dieses Gelb! Dann (sehr erotisch): Male Blumen, keine Kreuze! – Aufgewacht und alles notiert. Dummer Traum. Denn, ICH bin in Berlin UND berühmt UND Akademie. Malte gestern erst Rosenstock. Ohne Gelb. – Vorm offenen Fenster, trotz Augenreiben, Flugobjekt, spioniert offenbar. Bevor ich meine Pistole ziehen kann, dreht es ab. Verdammte Briten! Göring anweisen, auch so was zu bauen!
Dieser letzte Versuch, einen Feldherrn zum Künstler zu machen, schlug also fehl. Doch trösten wir uns: Nicht jeder erfolglose Künstler wird ein Massenmörder. Die Welt wäre sonst leer.
Die Anhänger der konservativen Naturwissenschaften mögen über Charlottes Bemühen amüsiert sein, wie schonsieben Berliner Professoren sich über Reichenbachs Odische Forschungen öffentlich belustigten.
Wir jedoch, Helder, werden eines Tages von Wissenschaftlern der amerikanischen Princeton-Universität lesen, die mittels einer Diode menschliche Biostrahlenkraft, dann freilich anders, nämlich morphisches Feld benannt, aufzuzeichnen vermochten. Ungläubig, doch fasziniert werden wir lesen, wie an die fünfzig weltweit verteilte Dioden an einem Septembertag ab vier Uhr früh eine ansteigende Erregung des globalen Od registrierten, bevor knapp fünf Stunden später ein Flugzeug in eines der höchsten Gebäude der Welt einschlug und weitere siebzehn Minuten später ein zweites in den Zwilling des bereits brennenden Turmes.
Es ist also an der Zeit, Charlotte Stickenbacher endlich zu rehabilitieren. Denn wenn ein paar gegen vier Uhr früh ins Auto steigende Attentäter vermögen, das Od der
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