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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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Menschheit in Schwingung zu versetzen, dann war ihre Idee, den odischen Schwingungen eines Deutschen eine andere Richtung zu geben, doch mehr als nur ein Hirngespinst. Freilich, sie hätte sich nicht gerade den unzugänglichsten auswählen sollen.
     
    Gut zweieinhalb Jahre nach der von Henriette Stickenbacher manipulierten odischen Sitzung, kurz vor ihrer Vermählung mit dem inzwischen rehabilitierten Reichsbahnuntersekretär Hans Kaspar Brügg beichtete die Braut, als sie dringend der Hilfe ihrer Schwester bedurfte, dieser die Sache mit dem Magneten.
    Erdmuthe, anfangs erbost, doch zunehmend angetan von der Aussicht, zur Sühne eine Nacht – nicht irgendeine Nacht, sondern die Hochzeitsnacht! – mit Hans Kaspar verbringen zu dürfen, verzieh der Schwester großmütig.
    Henriette hatte gute Gründe für dieses Wiedergutmachungsangebot, war sie doch in einer milden Vorfrühlingsnacht zwischen den Garnrollen im Stickenbacher’schenLager ihrer Jungfernschaft verlustig gegangen. Und dies nicht unter Hans Kaspars Beteiligung, sondern unter tätiger Mithilfe eines flotten sächsischen Garnlieferanten, der das Wort vom
ins Garn gehen
erfunden haben könnte, wenn dies nicht schon die mittelalterlichen Vogelfänger getan hätten. So aber, so ganz ohne Häutchen vor der Tür, wollte Henriette ihrem Gemahl in der Brautnacht nicht begegnen.
    Dennoch sah sie sich um Seidenfadensbreite genötigt, sich Hans Kaspar zu offenbaren, als auch der sie in den Tagen vor der Hochzeit im Garnlager mit Leidenschaft bedrängte. Doch schlug des Liebhabers heftige Erregung, als er Henriette eben auf eine Lieferung Seidengarn hob, plötzlich um. Mehr als Henriettes Spitzenunterwäsche schien Hans Kaspars Aufmerksamkeit von einem Etikett gefesselt, das auf den Seidenrollen klebte.
    Türkische Seide?
    Ja, warum nicht.
    Türkische Seide aus Konya?
    Ja, warum nicht aus Konya. Komm, die Mutter wartet! Und froh, der Gefahr entronnen zu sein, zog Henriette Hans Kaspar aus der Verstrickungsgefahr.
    Den Rest des Tages verbrachte er in grüblerischer Schweigsamkeit, obwohl die Gespräche über Hochzeitsvorbereitungen das Stickenbacher’sche Haus erfüllten. Die Schwestern nahmen es als geschlechtsbedingt hin und waren nicht böse, dass Hans Kaspar sich am frühen Abend verabschiedete. Schließlich hatten sie noch etwas zu bereden, das nicht für die Ohren des Bräutigams bestimmt war.
    Am Tag der Hochzeit sorgten die beiden verbündeten Frauen dafür, dass Hans Kaspars Glas immer neu gefüllt wurde und der Schwesterntausch im dunklen Hochzeiterzimmer, wie sie hofften, unbemerkt vonstattenging.
    Wenige Wochen nach der Hochzeitsnacht gelangte Erdmuthe Stickenbacher zu der Überzeugung, ein Kind vonihrer Schwester Ehemann im Leib zu tragen. Heftig atmend, mal das Gesicht in die Hände gedrückt, mal über den gefalteten Händen zum Himmel emporblickend, beriet sie sich mit Henriette. Diese nun fürchtete, der Brautaustausch und dessen Gründe könnten ans Licht kommen. Kurz entschlossen empfahl sie ihrer Schwester die Adresse eines vertrauenswürdigen Arztes, der das Malheur beseitigen könne. Doch Erdmuthe gedachte der Spaziergänge auf der Schwanenweide und ihrer illegalen Hochzeitsnacht wohl auch. Und mit Bestimmtheit sagte sie: nein. Schwäne tötet man nicht!
    Daraufhin fielen sich beide Frauen in die Arme. Sie beschlossen, das Kind, das sie gewissermaßen zu dritt gezeugt, zu dritt auch großzuziehen. Freilich Hans Kaspar einzuweihen, fanden sie unklug, da Männer in ihren Gefühlen, wir hörten es bereits, allzu leicht irren. So spielte Henriette fortan eine werdende Mutter und Erdmuthe eine Kummerspeck ansetzende Jungfer. Beide beschworen Gefahren für das werdende Leben, wenn Hans Kaspar sich nicht fernhielte von seiner Frau.
    Und siehe da, eines Tages überreichten ihm die beiden, als er heimkam, einen bläulich schimmernden Säugling mit dunklem weltweisem Blick.
     
    Das Mädchen, sagte Henri Helders Vater, erhielt den Namen Rosa. Ja, Henri, deine Mutter ist Erdmuthes Tochter! Bertram Helder, der diese Dreierbeziehung seinem Sohn offenbarte, sprach davon mit einer gewissen Genugtuung, einem Unterton, der klang wie ein Kehrgeräusch vor fremden Türen.
    Einzuräumen bleibt, Bertram war betrunken. Dies war deutlich durch den telefonischen Äther zu vernehmen, als er resümierte: Sozusagen hatte deine Mutter eine Doppelmutter. Wenn ich dir, mein Sohn, außer deiner ersten Fahrkarte vielleicht, sonst nicht viel mit auf den Weg gebenkonnte, so

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