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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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Kaspars Berufsstand anspielte, trat erneut eine kleine Verlegenheit ein, denn er begriff, dass seine Verehrerinnen, aus welchen Gründen auch immer, der Mutter gegenüber seine Arbeitslosigkeit nicht erwähnt hatten. So sah er sich gezwungen, selber zu erklären, was um so schwerer erklärbar schien, da doch gerade die junge Reichsbahn so großzügig Personal hielt, dass die fast ebenso junge Republik stolz von Vollbeschäftigung sprach.
    Sicher war Hans Kaspar nach seiner Rückkehr aus Anatolien ohne Aufhebens bei der Preußischen Staatsbahn untergekommen und sogar in den Beamtenstand erhoben worden. Doch wenig später sah der Verkehrsausschuss desrevolutionären Arbeiterrates von Krahnsdorf-Brandt, das an der Strecke Cottbus–Leipzig liegt, in dem Heimkehrer aus Anatolien einen, wie man formulierte, Exponenten der reaktionärsten und expansionistischsten Kreise des deutschen Imperialismus, woraufhin Hans Kaspar von der verängstigten Eisenbahndirektion entlassen worden war.
    Mit gleichem Schreiben an die Direktion übrigens war die Verbeamtung des dem Ausschuss vorsitzenden Revolutionärs gefordert worden. Dieser, ein gewisser Mendel, war Vorsänger im örtlichen Arbeitergesangsverein und Vorsitzender eines kommunistischen Zirkels und drängte danach, nun auch im Stellwerk die Weichen zu stellen. Und Fahrdienstleiter war bis dahin Hans Kaspar Brügg gewesen. Selbst dies berichtete Hans Kaspar ohne Vorwurf, ja es hatte mitunter den Anschein, als hielte er seine Entlassung selbst für gerechtfertigt.
    Dies veranlasste Charlotte Stickenbacher zu bemerken, sie fände es sehr tapfer, dass Hans Kaspar, trotz der erlittenen Unbill, weiter seine Uniform trage.
    Hans Kaspar ignorierte den ironischen Unterton dieser Worte und begann, schwärmerisch die frisch formierte Reichsbahn als das eiserne Band zu beschreiben, das die junge Republik zusammenhalte, wie die Damen unschwer am erfolgreichen Kampf gegen die Putschisten erkennen könnten. Streik, jawohl, doch nur als Mittel der Staatsräson. Ja, die Reichsbahn sei nicht weniger als das Modell einer neuen sozialen und demokratischen Gesellschaft, nicht auf den Gewinn Einzelner orientiert, sondern auf die allgemeine Wohlfahrt aller. Ja, aller! Unabhängig von Rasse oder Religion!
    Während Erdmuthe verschleierten Blickes an Hans Kaspars von Metaphorik geschwollenen Lippen hing, rutschte Henriette unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Schließlich unterbrach sie den Redner mit der Bitte, er möge doch, was viel aufregender sei, von dem wilden Anatolien erzählen.Keck provozierend fügte sie die Frage an, ob Hans Kaspar sich denn vorstellen könne, wie die Mohammedaner mit mehr als einer Frau verheiratet zu sein.
    Doch vor einer Antwort wurde er durch die Herrin des Hauses bewahrt, die bat, den Tisch abzuräumen. Das geschah, und die kleine Gesellschaft schritt zum odischen Experiment, in dessen tieferen Sinn der Gast freilich nicht eingeweiht wurde, denn sie stimmten ihn lediglich auf ein kurzweiliges Spiel ein.
    Die Mutter überprüfte die Funktionsfähigkeit des Geräts, indem sie erst die rechte, dann die linke Hand um den Zylinder legte, ohne ihn dabei zu berühren, woraufhin die Mühle sich einmal im Uhrzeigersinn, das andere Mal entgegengesetzt drehte.
    Henriette jauchzte, als die Mühle in der Tischmitte zwischen ihr und dem Angebeteten mit gleichmäßiger Freundlichkeit mal in die eine und mal in die andere Richtung rotierte.
    Man könne darin, so die Mutter, eine große Harmonie der Biostrahlenkräfte erkennen.
    Dann postierte man sich um. Henriette, der beim fröhlichen Jonglieren mit drei Äpfeln einer unter den Tisch gerollt war, kam nach Augenblicken von dort wieder hervor, und der zweite Teil des Experiments konnte beginnen.
    Erdmuthe, von liebenden Strahlen durchflutet, sah zu Hans Kaspar und der zu ihr mit so heftigen Blicken, dass erst sie errötete und dann der junge Mann.
    Wie war Erdmuthe aber erstaunt, als sie auf die Mühle sah. Alle staunten, und Henriette rief aus: Na, so etwas! Die Mühle stand einfach still. Sie rührte sich nicht. Nicht die kleinste Bewegung weder in die eine noch in die andere Richtung.
    Während die Mutter von einer gegenseitigen Auslöschung der odischen Kräfte sprach, dankte Henriette, tröstend die Hand auf der Schulter der weinenden Schwester,stillschweigend dem Gott der Physik. Der nämlich klebte in Gestalt eines Magneten unter der Tischplatte, von Henriette beim Apfelaufheben dort befestigt. So mochte er seinen

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