Der Lavagaenger
jungen Neomesmeristen in den »Psychischen Studien«, sollte die Mühle anzeigen, welcher von beiden über die stärkere Biostrahlenkraft verfüge.
Typisch männliches Konkurrenzdenken, dachte Charlotte. Sie war sich sicher, dass eine sympathische Resonanz der Biostrahlenkräfte möglich sei, ja dass beispielsweise ein wirklich liebendes Paar die Mühle zu einem hin und her schwingenden Tanz veranlassen müsse.
So war die Mühle selbstverständlich präsent, als Hans Kaspar Brügg eines Spätsommernachmittags das Stickenbacher’sche Haus in der Berliner Straße betrat und am Kaffeetisch gegenüber der Hausherrin Platz nahm.
Dem vorausgegangen waren viele ausgedehnte Spaziergänge über die Schwanenweiden. Auf denen hatte Brügg unter anderem seine neuesten Vogelvergrämungsmaßnahmen erläutert, mit denen sich zu beschäftigen er gezwungen sei, einzig, weil die Tierliebe des der Wandervogelbewegung entstammenden Landrats jeden Schuss auf die gefiederten Saaträuber mit Strafe belege. Eine Maßnahme, für die er große Sympathie hege, nicht nur weil sie ihm eine kleine Verdienstmöglichkeit eröffne. Denn: Schwäne, nein, Schwäne tötet man nicht, Gänse gewiss, aber Schwäne nie.
Hans Kaspar sprach dies mit solcher Überzeugungskraft, dass die Schwestern sich in erwartungsfrohe Schwaninnen verwandelten, die, in Umkehrung des antiken Mythos, ihren jungen Gott begehrten. Wenn ihre Aufmerksamkeit weniger vom Rauschen des eigenen Gefühls in Anspruch genommen gewesen wäre, dann hätten sie in Hans KasparsTonfall die leise Selbstanklage eines Menschen vernommen, der schon einmal selbst gegen sein eben postuliertes Gesetz verstoßen hatte.
Solcherart Bemerkungen des jungen Mannes, vermischt mit Andeutungen über seinen Aufenthalt in Anatolien, umgaben ihn mit einer geheimnisvoll exotischen Aura, hin und wieder durchweht von einem Hauch Schwermut, was für die Schwestern Stickenbacher eine überaus anziehende Melange ergab, die den Makel der Arbeitslosigkeit ohne Mühe überdeckte.
Nun dieser Satz über Schwäne. Als die Schwestern, verzückt über so viel männliches Sentiment, mit ihren Mündern gleichzeitig nach seinen Lippen haschten, wurde ihnen schlagartig klar, dass man sich entscheiden musste. Und diese Entscheidung sollte Mutters Odische Mühle treffen. Denn dem jungen Mann selbst sie zu überlassen, nein, das konnte man nicht tun. Männer konnten irren, vor allem in Herzensdingen.
So war Hans Kaspar nicht nur höflich eingeladen worden, die jungen Damen hatten ihn, da er sich anfangs zögerlich zeigte, mit allen weiblichen Künsten, die von Schmollen bis zu emphatischen Ausmalungen der mütterlichen Backkünste reichten, gedrängt, ja beschworen, sie doch unbedingt zu Hause zu besuchen.
Es war ein Sonntag, und die Webstühle der Stickenbacher Tuche schwiegen. Federleicht, so schien es Hans Kaspar, schwang des Regulators Pendel hin und her. Gleich den großäugigen Faltern über den Rabatten vorm Fenster schwebten die Schwestern um den Tisch, lindgrün und sanftorange schwangen über den seidenbestrumpften Waden die Röcke. Die Töchter des Hauses brachten Tassen und Teller und eine kühn geschwungene Kanne, aus deren Schneppe der Duft frisch gebrühten Kaffees durch die Stube zog. Und zu guter Letzt einen großen Teller mit Kuchen, Bienenstich, wie Hans Kaspar ihn mochte, braun imzähen Zuckersud die Haferflocken verbacken, kunstvoll aufgetürmt wie Frau Stickenbachers Haare, Letztere gehalten von einer kobaltblauen Spange.
Der jungen Damen kurz geschnittene Schöpfe schaukelten fröhlich im Rhythmus ihres Redeflusses. Ihr von der Spannung auf das Mühlenurteil angeheizter Frohsinn versank jedoch abrupt, als Hans Kaspar, angesteckt von dieser Heiterkeit, die obersten Knöpfe seiner Eisenbahnerjacke öffnete und ein mit dicken gelben Streifen überzogenes Trikothemd sehen ließ.
Gelb, o Gott, rief Mutter Stickenbacher und senkte ihre Stirn auf die Fingerspitzen einer Hand. Junger Mann, bitte diese Farbe nicht!
Da waren die Schwestern schon beschäftigt, Hans Kaspar Jacke und Trikot vom Leib zu ziehen, wobei sie flüsternd erklärten, dass mit dieser Farbe man im deutschen Heer jenes Gas markiert hatte, an dem der Vater zugrunde gegangen sei.
Während Hans Kaspar, nun das grobe Uniformflanell auf seiner bloßen Haut, noch überlegte, ob es nach beinah einem halben Jahrzehnt noch angebracht sei zu kondolieren, war man schon wieder mitten im Geplauder.
Als Frau Stickenbacher mit Wohlwollen auf Hans
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