Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
Vom Netzwerk:
lass dir das eine doch sagen: Mach bloß das Licht an im Schlafzimmer und gucke, wer da liegt!
    Ja, sagte Helder, eine Doppelmutter hatte sie, aber warum hatte sie eines Tages keinen Vater mehr!
    Du, wiederholte Bertram seine Mahnung, sag bloß nicht der Mutti, dass ich dir irgendwas erzählt habe. Du weißt doch, die ist da empfindlich. Und die Sache mit dem Polen … Du, sagte er, und Helder hörte, wie Glas leicht an Glas schlug. Jetzt, dachte Helder, gießt er sich noch einen ein.
    Du, Junge, da war Krieg, und er war doch wirklich selber dran schuld.
    Schuld? Wer? Woran?
    Erzähl ich … erzähl ich dir ein anderes Mal. Nicht hier am Telefon. Mir ist, als ob einer zusieht, ich meine, zuhört. – Ich glaube, Mutti kommt. Ach, du bist es, Rosalein, ich habe nur mal …
    Nichts, kein Wort mehr. Aufgelegt. Im Hörer tutete es wie aus kosmischen Fernen.

XI
    Hey, Mann, verdammt, die Schuhe …
    Er sagte tatsächlich
hey, Mann, verdammt,
so wie in einem amerikanischen Film, so wie dort einer aus den unteren Schichten einen Fremden anspricht:
hey, Mann
und dann dieses
verdammt
, im Original wahrscheinlich
goddamn
, gottverdammt – aber drei Silben sind zu lang für einen amerikanischen Film, deshalb also
verdammt
– zwei Silben. Dieser Typ sagte: Hey, Mann, verdammt, die Schuhe kenn ich doch!
    In diesem Augenblick bereute Helder nicht nur diese Reise, sondern auch, dass er die Schuhe seines Großvaters angezogen hatte. Um es genau zu sagen: Hätte er die Schuhe nicht angezogen, er wäre niemals geflogen. Er wäre auch nirgendwo hingefahren, außer vielleicht nach Brüssel, um sich Susannes Jean-Pit anzusehen. Um sich von ihm und Susanne durch eine fremde Stadt zerren zu lassen und sich dabei mies zu fühlen. Aber schon als er die Schuhe das erste Mal anprobiert hatte, war ihm so ein merkwürdiges Gefühl von den Fußsohlen erst die Füße, dann die Beine heraufgekrochen, so zwischen Kribbeln und Brennen. Er hatte das auf seinen Fußpilzekel zurückgeführt und die Dinger sofort wieder von sich geschleudert.
     
    Machst du nun nach Hawaii?, hatte ihn Tante Erdmuthe zwischen zwei genussvoll geschlürften Schlückchen Geburtstagskaffee gefragt.
    Tante
Erdmuthe, Helder konnte sich nicht vorstellen, sie plötzlich Oma zu nennen. Vor allem aber zog er es vor, seines Vaters Offenbarung, wie der es wünschte, zu beschweigenund auch Tante Erdmuthes Bemerkung zu überhören.
    Helder gabelte den nächsten Bissen Schwarzwälder Kirschtorte auf und lobte die Backkünste der Tante.
    Ist vom Bäcker, bemerkte Erdmuthe und wiederholte: Also, wie ist das mit Hawaii?
    Die Kaffeetasse des Vaters klirrte wie ein kurzer empörter Zwischenruf.
    Helder würgte an der Schwarzwälder Kirsch und führte, da er die Frage kein zweites Mal ignorieren konnte, diverse berufliche und familiäre Verpflichtungen ins Feld.
    Na, deine Susi hat sich doch schon dünnegemacht! Lässt mir Lilien schicken, das dumme Ding, als wär ich schon tot. Tja, wenn es wenigstens noch hundert gewesen wären …
    Jetzt ist aber gut, Erdmuthe. Helders Vater schob die besänftigende Hand seiner Frau beiseite. Soll der Junge etwa auch in Honolulu über Lavafelder springen? Der hat hier einen anständigen Beruf!
    Aber Urlaub, Urlaub darf er doch machen, dein Sohn? – Ach, sagte sie nach einem Blick unter den Tisch, du hast ja gar nicht Hansens Schuhe an, Junge!
    Die drücken, murmelte Helder.
    Viel zu teuer!, knurrte der Vater und meinte den Urlaub. Und was ist, wenn mit uns was ist? Oder mit dir? Oder …
    Das Läuten der Türglocke hielt Bertram Helder davon ab, alle möglichen Krankheits-, Un- und Pflegefälle aufzuzählen.
    Gott, o Gott, der Bundespräsident! Flink wie ein Backfisch hüpfte Tante Erdmuthe aus ihrem Sessel, huschte ins Bad, kam mit frisch und ein wenig zu kräftig nachgezogenen Lippen zurückgeeilt und postierte sich würdevoll in ihrem Sessel.
    Nun, Henri, mein Junge, öffne die Tür!
    Helder tat, wie ihm geheißen, und gefolgt von einem Pulk Journalisten, betrat ein feingezwirnter Herr die Stube. Es war aber nicht der Bundespräsident.
    Ach, entfuhr es Erdmuthe, nur der Kanzler.
    Vater Bertram zischte hinter ihr: Erdmuthe, das ist nicht wie beim Kaiser. Heute hat der Kanzler mehr zu sagen.
    Erdmuthe reichte dem Kanzler huldvoll die Hand. Der Kanzler lächelte und gratulierte artig.
    Er tätschelte lange Erdmuthes Hand, so lange, bis alle Fotografen ihr Kanzler-besucht-Hundertjährige-Foto gemacht hatten.
    Nu lassen Sie mal los, junger Mann, und sagen

Weitere Kostenlose Bücher