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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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haben als ein Paar Schuhe –, dann sieh dir alles gründlich an: Er muss die Marke noch gehabt haben.
    Welche Marke, Tantchen?
    Die von meinen Onkeln, den Denhardts, Jungchen, weißt doch: die grüne Witu-Marke. Die hat Hans damals mitgenommen.
     
    Auf nach Hawaii zu Hula und Ukulele. Ja, Helder würde bunte Hemden tragen, an Bars rumhängen – zur Linken und zur Rechten je eine Blütenschönheit –, und nebenbei würde er die Grüne Wituland aufstöbern. Das war doch immerhin ein vernünftiger Grund, sich auf die Spur der Großvaterschuhe zu begeben.
    Was aber, wenn er nichts fände? Nun gut, er würde die Zeit schon zu nutzen verstehen: Bei seiner Rückkehr nach Deutschland würde er sein Werk »Nützliche Bahnen« abgeschlossen haben.
    Die Deutsche Bahn und das deutsche Volk hätten endlich schwarz auf weiß, wie sie aus den roten Zahlen kämen.
     
    Jetzt steckte er erst mal in San Francisco fest. Elf Stunden Flug mit eingequetschten Beinen wie im Trabant, ein nostalgisches Gefühl. Da war es gut, ein wenig rumzulaufen. Und bloß nicht in diesem Hotel bleiben. Die Klimaanlage dröhnte wie sein Flugzeug beim Start. Außerdem wirkte alles etwas puffig. Ein Kerl, Typ Sumoringer, klemmte zwischen einem Wandschrank und einer Art Bügelbrett, das war die Rezeption. Und in den schummrigen Gängen fühlte man sich ständig auf der Flucht. Helder hatte sparen wollen, und eine Nacht, bis sein Flug nach Hawaii ging, würde er es schon aushalten.
    Außerdem war er in San Francisco. Sicher, ein Vierteljahrhundert zu spät, die Hippies waren längst verschwunden. Aber immerhin, er war da, trabte durch die hügeligen Straßenzüge und suchte das Meer. Henri Helder, entlassener Eisenbahnangestellter, auf den Spuren des Traums von Love & Peace.
    Eigentlich, dachte Helder, hat mich der Quatsch nie wirklich interessiert. Ich hatte immer eine Fahrkarte gehabt und gewusst wohin. San Francisco jedenfalls gehörte nicht zu meinen Zielen. Jetzt sitze ich hier, und jemand,der mit Sicherheit längst hier gewesen wäre, lebt nicht mehr: Marion.
    Marion trug Stirnbänder und Batikhemden, und sie hatte immer mal Probleme mit dem Herzen. Trotzdem wollte sie überallhin, wo unsereiner damals nicht hinkonnte. Kalifornien eben. Oder Indien. Lieber eigentlich noch Indien, vielleicht weil auch die Beatles dort gewesen waren. Zugegeben, ich wäre mit ihr gegangen, ihr zuliebe überallhin.
    Dann hat sie mich gefragt. Wir saßen an der Spree, es war Juni, und die Gegend quoll über vor Grün. Wir hockten also am Ufer und dachten uns so Sachen aus, wie es später mal sein würde. Ich glaube, ich erzählte wieder einmal von dem Tunnel unterm Atlantik, in dem die Züge mit Lichtgeschwindigkeit hin und her rasen würden zwischen Europa und Amerika.
    Und nach Indien?
    Nach Indien? Was brauchst du da einen Tunnel?, knurrte ich. Marion machte sich gern mal ein bisschen lustig über meine Leidenschaft für das Eisenbahnwesen. Doch diesmal war es anders. Sie starrte aufs Wasser und zog ihr Stirnband vom Kopf. Das tat sie nur, wenn sie ein Problem hatte. Dann fielen ihr die seidigen Haare vors Gesicht, und man bekam eine ganze Weile nichts zu hören. Bis sie fragte:
    Kommst du mit?
    Wohin?
    Nach Bulgarien …
    Mit dem Zug?
    … dann weiter über die Türkei bis nach Indien, per Anhalter.
    Erst habe ich gelacht. Doch sie meinte es ernst. O Mann, habe ich gedacht, das ist nun doch ein bisschen viel Romantik.
    Dann kamen die letzten Ferien vor dem Abitur, und Marion fuhr mit ihrem Vater nach Bulgarien. Eine Reise,von der sie nicht zurückkam. Nur ihr Vater kam wieder, das heißt, er wurde gebracht und saß dann etliche Jahre im Gefängnis. Unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge, außerdem versuchter illegaler Grenzübertritt. Irgendwo im bulgarischen Gebirge auf dem Weg zur Grenze hatte Marions Herz nicht mehr mitgespielt.
    Sie hätte unbedingt, erzählte man sich später, nach Indien gewollt. Zwei Jahre oder drei noch, hätten die Ärzte gesagt.
    Deshalb wollte sie dorthin, das Taj Mahal wollte sie sehen. Bevor es zu spät war. – Ja, gut, irgendwie hatte ich es geahnt, als sie mich fragte. Geahnt, aber doch nicht gewusst. Ich wollte auch nichts von ihrer Krankheit wissen, erst recht nicht, dass sie vielleicht bald sterben muss. Das war unmöglich, mit siebzehn starb man nicht, auch nicht mit achtzehn. Also kann Indien warten, dachte ich, bis man darf. – So ist ihr Vater mit ihr losgezogen, obwohl er wusste, das ist gefährlich, wegen des Herzens und

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