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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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Helder nicht gewachsen, so wenig wie der des schnauzbärtigen Fernsehseriendetektivs Magnum.
    Ach, Helder, warum glaubst du immer, in dem Film »Mein Leben« Hauptdarsteller sein zu müssen? Der Taxifahrer brachte dich nach Chinatown doch nur, weil du wie ein Fernsehspaßmacher auf die hüftwackelnde Hulapuppe über seinem Armaturenbrett zeigen und einen Witz reißen musstest. Dann bist du tatsächlich abschätzend vor einem dieser Mädchen stehen geblieben. Mit eingezogenem Kopfwärst du vorbeigeeilt, hätte dich nicht am frühen Abend während der Hulashow dein fröhlicher Tischnachbar mit Cocktails abgefüllt. Dies allein hätte gereicht, doch du musstest noch seinen Vorrat an Budweiserdosen mit ihm leeren, als ginge es nur darum, möglichst billig möglichst viel zu saufen. Als könnte dir der Alkohol eine Idee davon liefern, was du hier, am anderen Ende der Welt, eigentlich suchtest.
    Was machst du nun mit dieser alterslosen Asiatin? Keine Verheißung in ihren Augen, nur ein schwaches Glimmen.
    Als sie ihren schon etwas ramponierten Blütenkranz hob, um Helder damit einzufangen, musste sie niesen und erweckte damit Helders angeborene Furcht vor Infektionskrankheiten aller Art. Ernüchtert hatte er sich abgewandt und fluchtartig die lampionbeleuchtete Gasse verlassen.
    So hatte er sich, als der nächste Regenguss niederging, ins Blue Hawaii gerettet. Blue Hawaii, so hieß auch die geheime Cocktailmischung des Chinesen, die Helder der blauen Farbe wegen probierte.
    Es muss, wird er später beschwören, wenn es nicht von vornherein in dem Gebräu sich befunden hatte, ihm jemand etwas hineingetan haben, während er einem gewissen Bedürfnis nachgekommen war. Als er ein weiteres Mal auf dem Weg zu seinem Platz schon seemannsartig nicht vorhandene Decksschwankungen ausglich, trat aus der flimmernden Bildwand oder aber, was Helder einräumte, von seitlich dahinter hervor: Hans Kaspar Brügg, sein Großvater. Oder jemand, der aussah wie Helders Großvater, genauer: wie er ihn sich vorstellte.
    Sah er nicht aus wie Marlon Brando in der Uniform der Reichsbahn? Könnte es, Helder, nicht auch ein Offiziersrock der Britischen Marine gewesen sein, so wie Cook ihn trug und der nächtliche Zimmergast in San Francisco auch. Oder wie Brando in den Schiffskulissen der
Bounty
.
    So wie du ihn gesehen hattest vom knarrenden Sitz des
Weltspiegels
aus. Extra hingefahren von Krahnsdorf-Brandt nach Cottbus ins Kino. War aber die mit dem exotischen Namen mitgekommen.
    Wie hieß sie doch gleich noch mal …
    War einfach mitgekommen, wie immer. Hat schon beim Budenbauen mitmischen wollen, konnte sogar auf Bäume klettern, was für’n Mädchen immerhin … na ja. Hat sich also angehängt. Hat sich neben ihn gesetzt. Immer an den spannendsten Stellen knutschen gewollt, Weiber eben.
    Wie hieß sie doch gleich noch mal …
    Rosita, ach …
    Ach, die.
    Ach, Helder, tu nicht so. Hast sie doch gesehen, wie sie am Bahnhof stand vor den Resten der abgebrannten Imbissbude mit ihrer Mähne, die wie früher Funken sprühte. Hast doch sofort dran gedacht, an diesen kleinen Augenblick des Kirschenklauens.
    Ja, die hat sich gar nichts draus gemacht, hat längst Minirock getragen und ist noch auf den Baum geklettert.
    Über den pubertierenden Helder weg, über seine Hände, seine Schultern ist sie geklettert. Er guckt hoch – muss man doch sehen, ob der oder eben die, dem oder der man die Räuberleiter macht, auch aufwärts kommt – guckt hoch und sieht an diesem Junitag den Himmel, dunkel und gekräuselt.
    Hatte Rosita doch immer fragen wollen, war das Absicht, war das dreist oder einfach nur gedankenlos und leicht?
    Hatte nie gefragt, auch nicht, als sie – war das nicht in deinen letzten Semesterferien, Helder? – doch was miteinander hatten. Sie hatten sogar eine Zeitlang zusammengewohnt, besser gesagt: Helder bei ihr. Abends im Sommer zusammen die Köpfe aus dem kleinen Dachgaubenfenster gesteckt und in den Hinterhof ferngesehen: tratschendeWeiber, Meerschweinchen jagende Kinder, am Radio kurbelnde Opas. Geguckt haben sie und sich angefasst. Lust gekriegt aufeinander und sich die Sachen vom Leib … Hunger gekriegt, weil es von draußen rein nach Bratkartoffeln roch, Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Speck. Eines Tages blieb die Regel aus bei Rosita. Und Helder hatte keinen Hunger mehr, keinen Appetit und keine Lust. Gesagt hat er: Ach, Quatsch, kann gar nicht sein. Du, ich muss jetzt wirklich los.
    War aber doch was gewesen.
    Bist du sicher, von

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