Der Lavagaenger
gewusst. Außer einigen wenigen Soloauftritten bei Hof oder in den Salons wohlhabender Pflanzer blieb Richard Wolkenfuß der berufliche Erfolg versagt. Dass Sohn Isidor den daheim mühsam betriebenen Klavierunterricht auf der Insel gänzlich aufgab, tat ein Übriges, seine seelische Konstitution anzugreifen.
Eines Tages verpackte Richard Wolkenfuß sorgfältig seine Violine und ließ sich in einem Kanu zur Insel Molokai bringen. Ein Einheimischer führte Wolkenfuß einen schmalen Pfad durch das Gebirge, welches eine Halbinsel vom Rest der Welt abschirmt.
Zwar kannte Wolkenfuß Beschreibungen der dort lebenden Menschen, doch musste er sich des Entsetzens mühsam erwehren, als er in Gesichter blickte, die nasen-, lippen-, ja augenlos kaum Gesichter zu nennen waren. Doch Wolkenfuß fasste sich und tat das, was zu tun er sich vorgenommen hatte, er packte seine Geige aus und spielte.
Die chinesische Ärztin der Leprakolonie berichtete später, nichts habe sie je so berührt wie dieses lächelnde Weinen der sich um Wolkenfuß versammelnden Kranken. Plötzlich sah ich keine unförmigen Masken mehr, plötzlich sah ich wieder Gesichter. Dieser Musiker hatte ihnen die Welt zurückgegeben.
Keiner von uns, sagte die Ärztin, ist vor Ansteckung gefeit, sei er Mediziner, sei er Geistlicher. Doch dieser Musiker blieb, trotz seines fortan täglichen Umgangs mit denPatienten, von dieser bösen Krankheit verschont. Von Wunder wolle sie nicht reden, doch seltsam erschiene ihr die Tatsache schon.
Freilich, für die Welt jenseits der Berge war Richard Wolkenfuß seither verloren. Vor allem für seinen Sohn Isidor. Doch der war längst seine eigenen Wege gegangen. Geführt hatten sie ihn in die neue hawaiische Flotte, die, wie schon erwähnt, aus lediglich einer Fregatte bestand, der
Kamilou
.
Isidor, der Meuterer. Als die
Kamilou
vor den Samoainseln kreuzte, wurde er beim Anblick der deutschen Seekriegsflagge, die stramm am Mast der
Albatros
knatterte, von solchem Heimweh gepackt, dass der nächstbeste Anlass – es mochte tatsächlich ein leicht versalzenes Essen gewesen sein – ihm gut genug war, eine Rebellion anzuzetteln.
Die nach dem Stapellauf der
Kamilou
eilig zusammengelesene Mannschaft zerstreute sich erst in die Hafenkneipen von Apia, dann in alle Winde.
Unter ihnen William Christopher Palaoa und Isidor Wolkenfuß. Beide, ohne je mehr als ein paar Grußworte, einige Scherze und etliche Flüche ausgetauscht zu haben und ohne zu ahnen, dass sich die Geschichten ihrer Familien in ferner Zukunft noch einmal berühren sollten.
Isidor also war mit der
Albatros
Ende der achtzehnachtziger Jahre nach Deutschland zurückgekehrt. Er wäre aber, hätte ihm dazu nicht das nötige Vermögen gefehlt, sofort wieder nach Hawaii gereist. Dies jedoch nur, um sich mit seinem ehemaligen Dienstherrn, dem hawaiischen König, zu duellieren. Kalākaua habe seine Schwester, wie er sagte, in Schande zurückgelassen. Auch, wenn diese Schande, wie er zugeben müsse, sehr hübsch anzusehen sei.
Isidor setzte ein Schreiben an den hawaiischen Monarchen auf, in dem er erstens alle Schuld für die Meuterei aufder
Kamilou
auf sich nahm und zweitens den König aufforderte, für sein Handeln die Verantwortung zu übernehmen, zumindest die finanzielle.
Er brachte den Brief persönlich zur Post und verließ noch am selben Tag Mutter, Schwester und Nichte, um seiner neuen Leidenschaft, der Seefahrt, zu folgen. Im Dezember 1914 sollte er, als mehrere Kreuzer eines deutschen Geschwaders vor den Falklandinseln von britischen Schiffskanonen versenkt wurden, seinem neuen Dienstherrn, anders als dem alten, treu bleiben – bis hinab auf den Meeresgrund.
Wo die Männer sich anschicken, geistigen Gespinsten, die sie gerne Pflichten nennen oder Ideen, all ihre Inbrunst entgegenzubringen, da bleibt in den heimischen Hütten der kalte Gram zurück. Die verlassenen Wolkenfuß-Frauen spannen sich ein in ihr Verlassensein, bis es wie ein schwerer Schleier ihr Leben bedeckte.
Als Margarita vierzehn war, hatte sie davon genug und floh dorthin, wo sie das heftigste, Bleidecken schmelzende Leben vermutete, sie floh nach Berlin. Sie träumte von einer Karriere als Tänzerin.
Sie hatte tatsächlich einiges Talent zu diesem Beruf, der aber, nach Meinung von Mutter und Großmutter, leicht zum Ausgleiten und Fallen, vor allem im übertragenen Sinne führen könne. Dunkeläugig und von bronzenem Schimmer wie ihr Vater, würde sie der Männerwelt eine verlockende Beute
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