Der Lavagaenger
erst an seinen Tisch gebeten, dann mit Rosen beschenkt und schließlich aus seiner Loge herab zu Quadrille und Walzer geführt habe. Kalākaua tanzte hemdsärmlig erhitzt mit der schönen Fremden bis weit in die Nacht, als der Reporter gegen Viertel vor zwei in die Redaktion eilte, um für das
Abendblatt
zu berichten, der König tanze noch immer.
Erst am darauffolgenden Tag konnten die Wiener lesen, dass die junge Dame am Ende jener Nacht in den Fiaker des Königs gestiegen war. Die liberalen Blätter priesen Volkstümlichkeit und Lebenskunst des
fidelen kaffeebraunen Königs
, während einige Konservative Tränen der Tugend vergossen über die betrogene Königin daheim auf Hawaii.
Keiner aber fragte nach jener geheimnisvollen Schönen, die den König in das Hotel »Imperial« begleitet hatte.
IXX
Isabelle Wolkenfuß war dem königlichen Tross nach Wien gefolgt, um den König zu bitten, seinerseits eine Bitte zurückzuziehen. Hatte Kalākaua doch während der Ordensverleihung an ihren Vater Richard diesem ein überaus verlockendes Angebot gemacht: Die Royal Hawaiian Band verfüge lediglich über Blechblasinstrumente, was er, der König, erst seit eben, da er ihn, Wolkenfuß, habe spielen hören, als einen Mangel empfände. Er bitte ihn, diesen Mangel zu beheben. Kurz: Er lade den Meister samt seiner Familie ein nach Hawaii.
Drei Tage lang war die kleine Wohnung der Familie Wolkenfuß ein Schlachtfeld der Ängste und Hoffnungen.
Richard Wolkenfuß war begeistert. Dies war seine Chance: nicht mehr Kaffeehausgeiger, nicht mehr Garnierung für die Soireen der Reichen. Da verstand einer den Geist der Musik.
Isabelles Mutter war entsetzt und sprach von wilden Menschenfressern.
Isabelles halbwüchsiger Bruder träumte von Robinsoninseln und Piratenschätzen.
Isabelle selber war noch immer irritiert vom sanften dunklen Blick dieses fremden Mannes. Seit sie denken konnte, trat sie gemeinsam mit ihrem Vater auf. Gleichförmig wie der Tabakrauch im Café »Stietz« waren die Jahre vorübergezogen: blaugrau verträumt über stillem Gemurmel und dem dezenten Vibrieren der Saiten. Manchmal am Morgen ein schaler Geschmack, hin und wieder ein leichtes Aufwirbeln im kühlen Luftzug, wenn ein neuer Gast das Lokal betrat.
Zwar wusste die Mutter warnende Redensarten von alten Jungfern und späten Mädchen, doch das nahm Isabelle gleichmütig hin. Sie hatte bereits einige unglückliche Liebschaften hinter sich, und was noch kommen konnte, konnte nichts Neues mehr sein. Außerdem hatte sie ihr Cello. Es war immer da, wenn sie es brauchte. Man konnte miteinander reden, wann immer ihr danach war, zu reden. Es widersprach nicht, verlangte keine Erklärungen, erwartete nichts. Freilich, bei all seinen Vorzügen musste man verstehen, seine Saiten zu streichen, um Harmonien zu erzeugen. Nur Dissonanzen gab es umsonst.
Doch nun war da ein neuer Klang in ihrem Herzen, ungeahnt und nie ersehnt, pulstreibend, klar und undurchschaubar: Glücksangst. Alles so fremd.
Da die Frauen zögerlich gewesen waren, hatte Richard Wolkenfuß die Koffer allein gepackt, seinen Sohn genommen und war mit Kalākauas auf einer Serviette notierten Empfehlungen zur hawaiischen Botschaft nach Berlin gereist.
Als Isabelle am Montagmorgen gegen elf Uhr im Hotel »Imperial« erwachte und Kalākaua bereits wieder seinen offiziösen Verpflichtungen nachkam, wusste sie, nicht den Vater hatte sie aufhalten wollen, sondern selbst einer Sehnsucht folgen. Während sie beim Frühstück im
Wiener Tageblatt
blätterte, beschloss sie, anschließend einkaufen zu gehen. Der kommende Abend und vor allem der König hatten ein neues Kleid verdient.
Flüchtig glitt ihr Blick über die Zeilen, las, was ihre Aufmerksamkeit weckte, von Hawaii und von einer Frau, die einsam und voller Sehnsucht am Strand der Südseeinsel warte. Was für eine Demütigung, schloss der Feuilletonist seine Beschreibung, waren Kalākauas Eskapaden für die Königin!
Da wusste Isabelle, es würde für sie auf den ozeanischen Inseln keine Zukunft geben.
Sie reiste zu ihrer Mutter zurück.
Was blieb an Zukunft? Zwei Frauen im Kummer vereint, im Gram über Männer, die gingen.
Und es blieb ein Kind: Isabelles Tochter. Sie hieß Margarita, nach einem der Walzer aus jener Nacht.
Fünf Jahre später war Isabelles Bruder zurück aus der Südsee. Weder ihm noch dem Vater war dort das erträumte Glück zuteilgeworden.
Der königliche Kapellmeister hatte nichts mit einem einzigen Violinisten anzufangen
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