Der Lavagaenger
Kalākaua, wenn auch der Kipuka im Strom der Lava versinkt.
Er spürte, nie mehr würde er nach Honolulu zurückkehren, nie mehr den Palast des Himmlischen Falken durchschreiten, nie mehr die vertraute Hand seiner Frau über den Augen spüren, wenn der Kopfschmerz ihn plagte.
Träume, Kalākaua, träume: Hawaii den Hawaiianern, Polynesien den Polynesiern. Dass das wahr würde, bist du nicht robust genug. Du bist ein Schiff gegen tausend Flotten. Ach, David, nur wenn du das Kind in dir töten kannst, kannst auch du einen Goliath bezwingen.
Gestern noch hatte er mit Senator Walker Tee getrunken.
Sehen Sie, Hoheit, sagte Walker und hob, nachdem er lange darin gerührt hatte, einen gehäuften Löffel Zucker aus der Porzellandose, das hier ist Zucker aus Louisiana. Er ist nicht besser als der Zucker aus Hawaii …
Ich weiß, hatte Kalākaua gesagt, er ist billiger.
Es gibt eine Menge Leute hier, die würden Ihrem Land gern erneut Zollfreiheit gewähren. Zumal der Zucker vor allem von den Plantagen unserer Landsleute kommt. Aber wir können 2000 Amerikaner nicht ohne Schutz lassen. Ein Flottenstützpunkt …
Kalākaua hatte die Augen geschlossen. Da war sie wieder, diese Müdigkeit. Was war er schon für ein König?
Die Plantagenbesitzer hatten dafür gesorgt, dass ihn die Wahlmänner wählten. Als er nicht ihren Interessen, sondern seinen Visionen zu folgen begann, schickten sie ihre Miliz. Sie erzwangen von ihm die Annahme einer neuen Verfassung, die seine Macht einschränkte. Und jetzt sollte er den Export ihres Zuckers ankurbeln und dafür ein weiteres Stück hawaiischer Unabhängigkeit opfern? Pearl Harbor den Amerikanern völlig überlassen?
Kalākaua hatte mit geschlossenen Augen zu summen begonnen: Hawaii Ponoi. Gemeinsam mit Kapellmeister Berger hatte er die hawaiische Hymne komponiert. Dass die Melodie ein wenig, um nicht zu sagen sehr deutlich wie die deutsche Kaiserhymne klang, war Kalākaua recht gewesen:
Heil dir im Siegerkranz …
Am Tag seiner Geburt waren Einheimische in eine gewalttätige Auseinandersetzung mit französischen Seeleutengeraten. Ka La Kaua, so hatte ihn nach diesem Ereignis sein Vater genannt: der Tag des Kampfes. Nun war dieser Tag vorüber. Er war sehr lang gewesen. Schwer fielen die Lider über Kalākauas Augen.
Der König hatte den Senator nicht mehr angesehen. Irritiert hatte sich Walker erhoben und dem vor der Tür stehenden Bediensteten bedeutet: Besser, man holt einen Arzt.
Der Arzt kam. Der Arzt ging. Kalākauas Müdigkeit blieb. Sie hing in den schweren Samtvorhängen, schlich mit den Schritten der Lakaien über den dicken Teppich, tropfte von den Leuchtern am Abend. Und lag jetzt, am Morgen, noch als milder Schimmer auf seinem Bett.
Klang da nicht von der Straße her Musik? Spielte da nicht jemand Klarinette? Schiebt doch die Vorhänge beiseite, macht doch die Fenster auf! Ja, das ist doch ein Dreivierteltakt!
Wien, ach, Wien. Die Nacht im Dritten Kaffeehaus, war dies nicht die eigentliche Krönung nicht nur seiner Weltreise, sondern seines ganzen Lebens gewesen?
Solch eine feine und köstliche Musik. Musikkapellen überall, Theater, Opern, Pferderennen. Und alles am heiligen Sonntag?! Wer hat uns nur angeleitet zu all dem puritanischen Quatsch? Von Wien hatten ihm die sittenstrengen Missionare nichts erzählt. Kann es sein, schrieb Kalā kaua nach Hause, dass alle diese unbeschwerten glücklichen Menschen zur Hölle fahren? Alle, die sich ihrer Natur als der Natur bestes Geschenk erfreuen? Sicherlich nicht! Aber was für ein Kontrast zu unserer elenden bigotten Gemeinschaft, die einen falschen Sabbat hält statt eines richtigen Sonntags! So hatte es gestanden in Kalākauas Brief aus Wien an seine Schwester, in einem Brief aus seinem Herzen, angefüllt mit dem Hochgefühl eines Touristen. Auch ein königlicher Alltag ist Alltag, dem man entfliehen muss.
Der König griff unter sein Kopfkissen und zog einen anderen Brief hervor, einen, der an ihn gerichtet war. Wieder und wieder hatte er das Papier in den letzten Stunden zur Hand genommen, wieder und wieder gelesen. Mal stürzten ihn die Zeilen in tiefe Trauer, mal jubelte sein Herz: Er hatte ein Kind. Er, König Kalākaua I. Er, dessen Ehe seit Jahren kinderlos geblieben war. Jetzt las er es wieder und wieder: Er hatte eine Tochter. Deren Mutter allerdings war nicht Kalākauas Gattin, nicht die Königin.
Mit einem Kniefall und der Bitte um Vergebung hatte ihm sein Diener den Brief überreicht. Mehr als drei Jahre
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