Der Lavendelgarten
geheizt, aber schäbig. Connie bekam ein Zimmer für einen Preis, der des Ritz würdig gewesen wäre, und half Sophia nach oben. Eine Stunde später, nachdem sie sich in dem engen Bad gewaschen und ihre Sachen so gut wie möglich getrocknet hatten, ging Connie mit Sophia in das kleine Restaurant.
»Wir sind bald da«, versuchte Connie sie aufzumuntern. »Bitte, Sophia, versuch, etwas zu essen.«
Während sie beide in ihrem Essen herumstocherten, dachte Connie an Sarah, Édouard und Venetia. Sie und Sophia konnten sich glücklich schätzen, in Freiheit, warm und trocken untergebracht zu sein.
Da riss eine Stimme sie aus ihren Gedanken.
»Haben Sie noch einen weiten Weg vor sich, Madame?«, fragte der junge Mann am Nebentisch interessiert und lächelte freundlich.
»Wir wollen zurück nach Hause », antwortete Connie vorsichtig. »Ein Stück weiter die Küste entlang.«
»Ach, die Côte d’Azur. Für mich gibt es kein schöneres Fleckchen Erde.«
»Da stimme ich Ihnen völlig zu, Monsieur.«
»Haben Sie Verwandte besucht?«, erkundigte sich der Mann.
»Ja«, antwortete Connie, ein Gähnen unterdrückend. »Es war eine lange Fahrt.«
»Heutzutage ist jede Reise beschwerlich. Ich bin Agraringenieur und viel unterwegs.« Der Mann runzelte die Stirn. »Sie reisen ohne Begleitung?«
»Ja, aber wir sind fast am Ziel.« Connie machten die vielen Fragen nervös.
»In diesen schwierigen Zeiten ist das sehr mutig. Besonders weil Ihre Freundin …« Der junge Mann deutete mit einer Geste geschlossene Augen an.
Connie bekam es mit der Angst zu tun. Wie konnte sie nur ganz offen mit der blinden Schwester eines von der Gestapo Gesuchten in einem Restaurant sitzen?
»Meine Schwester ist nicht blind, nur erschöpft. Komm, Claudine, Zeit fürs Bett. Gute Nacht, Monsieur«, verabschiedete sie sich von dem Mann und ließ Sophia allein aufstehen. Erst im allerletzten Augenblick nahm sie ihren Ellbogen, um sie aus dem Raum zu führen.
»Was war das für ein Mann?«, flüsterte Sophia.
»Keine Ahnung. Ich weiß nicht, ob wir weiter hierbleiben sollen. Ich …«
Als sie den Fuß auf die unterste Stufe der Treppe setzte, spürte Connie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie zuckte erschreckt zusammen. Es war der Mann aus dem Restaurant.
»Madame, ich weiß, wer Sie sind«, sagte er leise. »Keine Angst, von mir haben Sie nichts zu befürchten. Ein Freund hat mir mitgeteilt, dass eine solche junge Frau …«, er deutete auf Sophia, »… hierher unterwegs ist. Ich soll ihr und ihren Mitreisenden helfen. Ich habe Sie bereits im Bahnhof von Marseille gesehen und hätte Sie schon früher angesprochen, doch dann kam die Sache mit Ihrer Freundin im Zug dazwischen. Ich soll Sie bis zum Ende Ihrer Reise begleiten. Sophias Bruder ist mir gut bekannt.«
Connie sah ihn unsicher an.
»Er ist ein ›Hero‹, ein Held, Madame«, fügte der Mann mit einem vielsagenden Blick hinzu.
Als sie Édouards Kodenamen hörte, nickte Connie.
»Danke, Monsieur.«
»Morgen begleite ich Sie zu Mademoiselles Haus. Ich heiße Armand. Gute Nacht.«
»Können wir ihm vertrauen?«, fragte Sophia wenig später im Zimmer.
Wenn bis zum Morgen keine Gestapo-Leute auftauchten, wusste Connie, dass sie es konnten. Doch das sagte sie Sophia lieber nicht.
»Ja. Ich glaube schon. Wahrscheinlich hat Ihr Bruder ihn über seine Kontakte bei der Résistance informiert.«
»Wann Édouard wohl zu uns stoßen wird?«, seufzte Sophia. »Constance, ich muss die ganze Zeit an die arme Sarah denken.«
»Wir können nur hoffen, dass sie nach der Befragung freigelassen wird. Schlaf jetzt, Sophia. Morgen Abend sind wir an einem sicheren Ort.«
Nach einem Frühstück mit frischem Brot und einem noch warmen Croissant sah die Welt schon freundlicher aus. Armand nickte ihnen von der anderen Seite des Restaurants aus zu, erhob sich und schaute auf seine Uhr.
»Es war mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, Madame. Ich gehe jetzt zum Bahnhof und nehme den Zug entlang der Küste.« Er verabschiedete sich mit einem Lächeln.
Kurz nachdem Armand weg war, führte Connie Sophia zum Bahnhof. Armand tippte zur Begrüßung an seinen Hut, als sie ihn dort einholten. Connie erwarb zwei Fahrkarten und setzte sich mit Sophia auf eine Bank auf dem Bahnsteig, von wo aus sie Armand, der Zeitung las, beobachtete. Schließlich fuhr der kleine Zug in den Bahnhof ein, und die Wartenden drängten sich auf sehr unbritische Art vor den Türen. Connie sicherte Sophia einen Platz am
Weitere Kostenlose Bücher