Der Lavendelgarten
Fenster und blickte sich nach Armand um, doch der war offenbar in den zweiten Wagen gestiegen.
Die Fahrt nach Gassin dauerte etwas mehr als zwei Stunden. Connie betrachtete die hübschen Küstenorte, die im Hochsommer bestimmt auf eine azurblaue See blickten. Jetzt, Anfang Dezember jedoch, waren die Wellen abweisend grau. Connie, die bis auf die Knochen durchgefroren war, wünschte sich nichts sehnlicher als ein wenig Wärme.
Nach einer Zugfahrt ohne Zwischenfälle stiegen Connie und Sophia wieder bei strömendem Regen am Bahnhof von Gassin aus. Als der Zug und die wenigen Fahrgäste sich vom Bahnsteig entfernt hatten, blieben nur noch sie und ein Eselsgefährt. Wenig später tauchte Armand mit zwei Fahrrädern auf.
Connie sah ihn entgeistert an. »Monsieur, das kann Sophia nicht. Wie wäre es mit dem Eselswagen?«, schlug sie vor.
»Die gute Charlotte bringt die Post den Hügel hinauf nach Gassin«, erklärte Armand mit einem liebevollen Blick auf das Tier. »Ihr Verschwinden würde den Dorfbewohnern auffallen und ihre Aufmerksamkeit auf Sophia lenken.«
»Charlotte kann aber doch bestimmt den Mund halten, oder?«
»Sie ist absolut verschwiegen«, bestätigte er schmunzelnd. »Doch für ihren Herrn, den Postboten, würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Das Château ist mit dem Fahrrad nur fünf Minuten weg. Sophia wird sich an mir festhalten.«
»Nein!«, rief Sophia entsetzt aus. »Das kann ich nicht.«
»Mademoiselle, es geht nicht anders.« Er sah zu Connie. »Nehmen Sie das.« Armand reichte ihr Sophias Reisetasche, die diese in ihren kleinen Fahrradkorb stellte. »Und helfen Sie Mademoiselle beim Aufsteigen.«
»Bitte nicht!«, stöhnte Sophia ängstlich.
Die völlig durchnässte Connie verlor die Geduld. »Herrgott, Sophia, steig auf, bevor wir uns alle eine Lungenentzündung holen!«
Connies scharfer Tonfall brachte Sophia zum Verstummen.
»Legen Sie die Arme um meine Taille, und halten Sie sich fest«, wies Armand, der mit gespreizten Beinen vor Sophia stand, diese an. »Los geht’s!«
Als Armand das Rad schwankend die holprige Straße entlanglenkte, klammerte Sophia sich an ihn, als ginge es um ihr Leben. Connie folgte ihnen. Wenige Minuten später, der Regen ergoss sich in Strömen über Connies weißblonde Haare, bog Armand von der Straße ab und blieb kurz darauf stehen, damit Connie zu ihnen aufschließen konnte.
»Sehen Sie, Mademoiselle, Ihr erster Ausflug mit dem Fahrrad.« Er half Sophia vom Rad, legte es auf den Boden und signalisierte Connie, dass sie es ihm gleichtun solle. »Von hier aus müssen wir zu Fuß weiter, weil der Weg für Räder zu uneben ist. Wir nähern uns dem Château von hinten durch die Weinberge und gehen direkt zur cave . Zum Glück ist uns seit dem Bahnhof niemand begegnet«, erklärte er, als er Sophia den schlammigen Weg entlangführte. »Der Regen hilft uns.«
»Sind wir da?«, fragte Sophia.
»Ja, in ein paar Minuten erreichen wir die cave «, antwortete er.
»Gott sei Dank«, keuchte Sophia, vor Angst und Erschöpfung zitternd.
»Jacques erwartet Sie«, erklärte Armand.
Der Klang seines Namens schien Sophia neue Kraft zu geben. Ein großes, verputztes Gebäude kam in Sicht; Armand öffnete die hohen Holztüren. Fast hätte Connie vor Erleichterung geweint, als sie dem Regen entkommen waren.
Im Innern befand sich ein riesiger, düsterer Raum, in dem der Geruch von gärenden Trauben hing. An den Seiten lagerten riesige Eichenfässer.
Zwischen zweien trat eine Gestalt hervor und flüsterte: »Sophia? Sind Sie das?«
»Jacques!« Sophia streckte ihre dünnen Arme aus.
Ein groß gewachsener, kräftiger Mann um die dreißig mit sonnengebräuntem Gesicht kam auf sie zu.
»Meine Sophia, Gott sei Dank ist Ihnen nichts passiert!« Der Mann drückte sie an seine breite Brust, und Sophia weinte sich daran aus. Während er ihr über die nassen Haare strich, tröstete er sie mit leiser Stimme. »Ich bin ja da und passe auf Sie auf.«
Nach einer Weile wandte Jacques sich Connie und Armand zu.
»Danke, dass Sie sie nach Hause gebracht haben«, sagte er mit rauer Stimme. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie das schaffen. Hat irgendjemand Sie beobachtet?«
»Jacques, bei dem Regen war kaum die Hand vor Augen zu sehen«, erklärte Armand lachend. »Das Glück war uns gewogen.«
»Gut. Meine Damen, in meinem Häuschen brennt ein Feuer. Sie müssen Ihre nassen Sachen ausziehen.« Jacques löste sich von Sophia und ging zu Armand. »Danke, mein Freund. Das
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