Der Lavendelgarten
an. »Sophia, wir müssen jetzt laufen. Man darf uns hier nicht sehen.«
»Wo wollen wir denn hin?«, flüsterte Sophia, als die beiden Frauen sie über das Feld führten. »Es ist so kalt. Ich spüre kaum meine Füße.«
Die rundliche Sarah, die nicht an schnelles Laufen gewöhnt war, gab ihr keine Antwort, weil sie um Atem rang.
Endlich sah Connie in der Ferne ein flackerndes Licht.
Als die Umrisse eines Gebäudes zu erkennen waren, verlangsamten sie ihre Schritte. Das Licht stammte von einer Öllampe an einer Scheune.
»Bis zum Tagesanbruch verstecken wir uns hier.« Sarah öffnete die Scheunentür und nahm die Lampe von dem Nagel, an dem sie hing. Im trüben Innern erkannte Connie aufgestapelte Heuballen.
Sarah schob Sophia zu einem am hinteren Ende der Scheune, auf dem diese sich, von der Anstrengung schwer atmend, niederließ. »Hier ist es immerhin sicher und trocken.«
»Wir sollen die Nacht in einer Scheune verbringen?«, fragte Sophia entsetzt.
Fast hätte Connie laut gelacht. Diese Frau hatte bisher auf Pferdehaarmatratzen und Daunenkissen gebettet geschlafen.
»Ja«, antwortete Sarah. »Ich mache Ihnen ein warmes Bett aus Heu.«
Als es fertig war, legte Sarah sich neben sie.
»Sie müssen auch schlafen, Madame Constance. Wir haben noch eine lange, beschwerliche Reise vor uns. Bevor ich’s vergesse: Bitte nehmen Sie das hier, für den Fall, dass mir etwas zustoßen sollte.« Sarah reichte Connie einen Zettel. »Das ist die Adresse des Châteaus. Dort gehen Sie bitte sofort zur cave , wo Jacques Benoit uns erwartet. Gute Nacht.«
Connie las die Adresse, prägte sie sich ein und zündete ein Streichholz an, um den Zettel zu verbrennen. Dann vergrub sie sich im Heu und betete, dass der Morgen bald anbrechen möge.
Als Connie erwachte, war Sarahs Heubett bereits leer. Sophia schlief noch tief und fest. Connie trat vor die Scheune und lief nach hinten, um sich zu erleichtern. Da sah sie, wie Sarah mit einem Pferdefuhrwerk auf sie zukam.
»Das ist Pierre, der Bauer von nebenan. Ich konnte ihn überreden, uns zum Bahnhof in Limoges zu bringen. Es wäre zu gefährlich, den Zug von einem näher gelegenen Bahnhof zu nehmen«, erklärte Sarah.
Sie weckten Sophia und halfen ihr auf den Karren. Der Bauer, ein schweigsamer Franzose mit wettergegerbtem Gesicht, fuhr los.
»Die Leute werden immer gieriger«, brummte Sarah. »Obwohl ich ihm erklärt habe, dass unsere Begleiterin blind ist, verlangt er ein Vermögen. Wenigstens ist er vertrauenswürdig.«
Als das Pferdefuhrwerk in der Kälte über den gefrorenen Boden holperte, stellte Connie sich vor, was für eine angenehme Fahrt dies im Hochsommer gewesen wäre. Vier Stunden später hielt der Bauer kurz vor Limoges an und wandte sich zu ihnen um.
»Steigen Sie hier aus; es ist zu gefährlich für mich weiterzufahren.«
Sarah bedankte sich, und die drei kletterten von dem Gefährt, um sich auf den Weg in die Stadtmitte zu machen.
»Ich bin schrecklich müde … und mir ist übel«, jammerte Sophia, die auf beiden Seiten von ihren Begleiterinnen gestützt wurde.
»Es ist nicht mehr weit bis zum Zug nach Marseille«, tröstete Sarah sie.
Nachdem Sarah am Bahnhof die Fahrkarten geholt hatte, bestellten sie in einem Café am Eingang heißen Kaffee und Baguette, das Connie mit Appetit verspeiste, obwohl es hart war. Als Sophia den Kaffee roch, musste sie würgen, und sie schob die Tasse weg. Sarah begleitete sie hinaus und ließ sie auf einer Bank am Bahnsteig Platz nehmen. Dann entfernte sie sich mit Connie ein Stück, damit Sophia nichts hörte.
»Sophia geht es nicht gut«, bemerkte Connie. »Das ist seit Wochen so; es kann also nicht nur an der Reise liegen.«
»Sie haben recht. Das ist nicht das Problem«, bestätigte Sarah. »Leider hat ihr Zustand viel ernstere Gründe. Sehen Sie sie doch an: Sie ist blass, und ihr wird ständig übel … Gerade hat sie den Kaffee weggeschoben, weil sie den Geruch nicht erträgt. Madame, wie deuten Sie das?«
Connie schlug die Hand vor den Mund. »Sie meinen …?«
»Ich meine nicht. Ich weiß es. Ihnen dürfte klar sein, bei wie vielen Dingen ich Mademoiselle helfen muss. Sie hat seit Wochen keine Monatsblutung mehr.«
»Sie ist schwanger?«, flüsterte Connie entsetzt.
»Ja. Ich habe keine Ahnung, wann das passiert sein könnte.« Sarah seufzte. »Ich erinnere mich nicht, wann die beiden lange genug allein waren, um … Trotzdem ist es geschehen. Alle Anzeichen sprechen für eine Schwangerschaft.«
Connie
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