Der Lavendelgarten
weiß nicht, ob ich Hilfskräfte auftreibe«, seufzte Jacques. »Im Moment sind alle mit Wichtigerem beschäftigt.«
»Ich helfe Ihnen, so gut ich kann«, erbot sich Connie, die wusste, dass bei der vendange normalerweise ein halbes Dutzend Leute von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang arbeitete.
»Nett gemeint, Constance, aber ich glaube, Sie werden anderswo dringender gebraucht. Wissen Sie, wie man Kindern auf die Welt hilft?«, fragte Jacques.
»Nein. Das gehörte nicht zu meiner Ausbildung in England«, erklärte sie schmunzelnd. »In Büchern ist immer von viel heißem Wasser und Handtüchern die Rede. Wenn es so weit ist, werde ich schon irgendwie zurechtkommen.«
»Ich habe Angst, dass etwas schiefgeht und Sophia medizinische Hilfe braucht. Was machen wir dann? Wir können sie nicht ins Krankenhaus bringen.«
»Ich werde mein Bestes tun«, versprach Connie.
»Mehr können wir beide nicht tun.«
Immer wieder warteten britische Flieger im Speicher von Jacques’ Häuschen auf das Boot nach Korsika. Von ihnen erfuhr Connie, dass die Invasion der Alliierten in der Normandie kurz bevorstand. Die im Süden würde einige Wochen später erfolgen. Jedes Mal gab sie einem der Flieger einen Umschlag für Lawrence mit.
In den Briefen für ihn stand stets das Gleiche:
Schatz, mach Dir keine Sorgen um mich. Ich bin in Sicherheit, mir geht es gut, und ich hoffe, bald nach Hause zu kommen.
Einer von ihnen, dachte Connie, als sie an einem Juniabend den fünften Brief dieser Art schrieb, würde bestimmt den Weg zu Lawrence finden.
Jacques betrat mit sorgenvoller Miene das Wohnzimmer.
»Constance, da draußen schleicht jemand herum. Gehen Sie rauf und sagen Sie den Jungs, dass sie sich ruhig verhalten sollen, während ich nachsehe, wer das ist.«
Jacques nahm seine Jagdflinte vom Haken neben der Tür und verließ das Haus.
Nachdem Connie die Flieger gewarnt hatte, kehrte sie in den Wohnraum zurück, wo Jacques die Waffe auf einen groß gewachsenen, ausgezehrten blonden Mann richtete, der die Hände über den Kopf hob.
»Vorsicht! Ein Deutscher!« Jacques hielt dem Mann den Lauf der Waffe an die Brust. »Setzen! Da drüben.« Er deutete auf den Sessel beim Kamin.
Als der Mann sich setzte, betrachtete Connie seine riesigen Augen in dem schmalen Gesicht, die stumpfen, wirren blonden Haare und das, was von seinem Hemd und seiner Hose noch an seinem dürren Körper hing.
»Constance, ich bin’s, Frederik«, krächzte er. »Wahrscheinlich erkennen Sie mich ohne die Uniform nicht.«
Seine Augen waren der einzige verlässliche Hinweis darauf, welcher der Brüder vor ihr stand.
»Sie kennen diesen Mann?«, fragte Jacques Connie ungläubig.
»Ja. Er heißt Frederik von Wehndorf und ist Oberst der SS. Sophia kennt ihn ebenfalls.« Connie warf ihm einen vielsagenden Blick zu.
»Verstehe.« Jacques nickte, senkte jedoch nicht die Waffe, als er sich wieder Frederik zuwandte. »Und was wollen Sie hier?«
»Ich möchte zu Sophia, wie ich es ihr versprochen habe. Ist sie hier?«
Connie und Jacques schwiegen.
»Wie Sie sehen …«, Frederik deutete auf seine Kleidung, »… bin ich nicht mehr Offizier. Ich werde gesucht. Wenn sie mich finden, bringen sie mich nach Deutschland und erschießen mich.«
Jacques lachte laut auf. »Meinen Sie wirklich, dass wir Ihnen das glauben? Woher sollen wir wissen, dass das kein Trick ist? Ihr Deutschen lügt doch wie gedruckt.«
»Ich habe keine Beweise; ich kann Ihnen nur meine Wahrheit sagen.« Frederik wandte sich Connie zu. »Nachdem ich Sie, Sophia und die Bedienstete zum Gare Montparnasse gebracht hatte, bin ich nicht nach Deutschland gereist, weil mir klar war, dass mein Bruder Falk nicht eher ruhen würde, als bis ich vor Gericht gestellt würde, weil ich Ihnen zur Flucht verholfen habe. Es ist nicht das erste Mal, dass er an meiner Loyalität zweifelt. Ich scheine viele Feinde und keine Freunde zu haben.«
»Wohin wollen Sie, Frederik?«, fragte Connie.
»Mein einziger Gedanke galt Sophia. Ich wollte hierherkommen und sie sehen, wie ich es ihr versprochen habe«, antwortete Frederik. »Nachdem ich Paris verlassen hatte, bin ich in die Pyrenäen geflohen, wo ich Ziegen gemolken und Hühner gefüttert habe, bis ich das Gefühl hatte, durch Frankreich reisen und meine Sophia suchen zu können.« Frederik zuckte mit den Achseln. »Ich bin schon vor vielen Wochen aufgebrochen.«
»Es war bestimmt nicht leicht, sich hierher durchzuschlagen«, bemerkte Jacques, der ihm nach wie vor
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