Der Lavendelgarten
weißt, dass du schon bald ein Kind haben wirst?«
Erst nach einer ganzen Weile antwortete Sophia mit Ja.
»Es ist von Frederik?«
»Natürlich!«, rief Sophia entrüstet aus.
»Dir ist auch klar, dass Schwangere das Kind in ihrem Leib nicht nur mit Nahrung, sondern auch mit frischer Luft und positiver Energie versorgen müssen?«
Wieder Schweigen.
»Wie lange weißt du es schon?«, fragte Sophia schließlich.
»Sarah hat es gleich gemerkt und mir gesagt«, antwortete Connie.
»Natürlich wusste sie Bescheid.« Sophia verlagerte seufzend das Gewicht. »Sie fehlt mir sehr.«
»Das glaube ich dir gern. Ich kann Sarah leider nicht ersetzen.«
»Entschuldige, Constance. Du sorgst wirklich aufopfernd für mich, und dafür bin ich dir dankbar. Das Kind … ich habe mich geschämt, es dir zu gestehen.« Sophia rang die Hände. »Vielleicht wäre es besser, wenn ich sterbe. Was wird mein Bruder sagen, wenn er es erfährt?«
»Er wird Verständnis haben, weil du auch nur ein Mensch bist und das Kind die Frucht deiner Liebe ist«, log Connie. »Sophia, du darfst nicht aufgeben. Du musst kämpfen wie nie zuvor, deinem Kind zuliebe.«
»Édouard wird mir das nie verzeihen. Und wie sollte ich dir sagen, dass ich dich in der Nacht, die mein Bruder nicht zu Hause war, hintergangen habe? Bestimmt hasst du mich jetzt!« Sophia schüttelte verzweifelt den Kopf. »Und trotzdem kümmerst du dich um mich, weil du ein guter Mensch bist und dir keine andere Wahl bleibt. Aber du kannst nicht verstehen, wie es ist, allen zur Last zu fallen. Von frühester Kindheit an konnte ich mich nicht allein bewegen; ich werde nie zu den ganz normalen Dingen des Lebens in der Lage sein. Ich bin auf die Hilfe anderer angewiesen, wenn ich die Treppe hinauf oder zur Toilette gehe oder ein Kleidungsstück anziehen möchte, das ich noch nicht kenne. Ich werde nie wie du einfach vor die Tür treten und die Straße entlanggehen können. Vergib mir meinen Egoismus, Constance.«
Connie legte Sophia tröstend die Hand auf die Schulter. »Das ist wirklich schrecklich.«
»Und dann lerne ich plötzlich diesen Mann kennen«, fuhr Sophia fort, »der in mir nicht die Blinde sieht und mich nicht wie ein hilfloses Kind behandelt. Für Frederik bin ich eine erwachsene Frau; er hört mir zu und liebt mich meiner Persönlichkeit wegen. Doch leider steht er auf der falschen Seite, auf der des Feindes. Ich darf ihn nicht lieben, weil ich damit meine Familie und mein Land verrate. Und jetzt ist er weg, und in meinem Bauch wächst sein Kind heran, eine weitere Bürde für die, die sich um mich kümmern müssen. Constance, du fragst dich, warum ich hier liege und nur noch auf meinen Tod warte? Weil ich weiß, wie viel leichter das Leben für alle ohne mich wäre!«
Connie war schockiert über Sophias Ausbruch. Ihre Worte machten ihr zum ersten Mal den klaren Blick Sophias sowie ihre Schuldgefühle anderen gegenüber bewusst.
»Ohne mich wäre Sarah nicht in diesem Zug gewesen und verhaftet worden. Wahrscheinlich ist sie inzwischen tot.«
Connie suchte nach den richtigen Worten. »Sophia, deine Familie liebt dich, niemand empfindet dich als Last.«
»Und wie vergelte ich ihr diese Liebe? Ich mache ihr Schande.« Sophia schüttelte den Kopf; Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Egal, was du mir erzählst: Das wird mir Édouard nie verzeihen. Wie soll ich es ihm nur sagen?«
»Darüber machen wir uns später Gedanken, Sophia. Im Moment haben du und die Gesundheit deines Kindes Vorrang. Du musst alles in deiner Macht Stehende tun, damit es wohlbehalten das Licht der Welt erblickt. Sophia, willst du dieses Kind?«
Langes Schweigen, bevor Sophia antwortete: »Manchmal denke ich, es wäre das Beste, wenn wir beide sterben. Aber dann fällt mir ein, dass alle Menschen, die mir etwas bedeuten, weg sind, und das Leben in mir das Einzige ist, was mir noch geblieben ist. Es ist Teil von ihm, von Frederik … Ach, Constance, es ist alles so schwierig. Hasst du mich denn nicht für das, was ich getan habe?«
»Nein, Sophia. Wieso sollte ich dich hassen? Du bist nicht die erste Frau in dieser Lage, und du wirst auch nicht die letzte sein. Natürlich könnte es kaum komplizierter sein, aber du darfst nicht vergessen, dass das unschuldige Leben, das in dir wächst, nichts von alledem weiß. Egal, wie sein Erbe aussieht und was die Zukunft bringt: Du schuldest deinem Kind die Chance auf ein Leben. Es hat schon so viel Tod und Zerstörung gegeben. Neues Leben ist neue
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