Der Lavendelgarten
diese hier, so dass ich hin und wieder mit meinen Mitmenschen in Kontakt treten kann. Im Moment informiere ich mich über Erdgeschosswohnungen im Zentrum von York, einer sehr hübschen Stadt mit einer noch hübscheren Kathedrale.
Möglicherweise überrascht Sie meine Kehrtwendung, weil ich Ihnen doch gesagt hatte, dass ich auf jeden Fall in Blackmoor Hall bleiben möchte. Leider hat der gemeinsame Besitz dieses Hauses nichts als Kummer gebracht. Der letzte Wunsch meiner Großmutter nach einer Aussöhnung zwischen Seb und mir hat sich bedauerlicherweise nicht erfüllt und wird es auch nie. Also habe ich uns beiden zuliebe beschlossen, einem Verkauf von Blackmoor Hall zuzustimmen. Ich habe, glaube ich, bisher noch nicht erwähnt, dass Seb seinen Teil des Hauses mit einer hohen Summe beliehen hat. Vermutlich will die Bank das Geld so bald wie möglich zurück, weswegen er so dringend verkaufen möchte. Natürlich wird er entzückt sein, wenn ich ihm meine Entscheidung mitteile. Alles in allem, denke ich, ist es an der Zeit, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und sich der Zukunft zuzuwenden.
Em, ich sollte außerdem erwähnen, dass ich jeden Penny für die Renovierung meiner Wohnung aus der eigenen Tasche bezahlt habe. Genauso wie sämtliche Kosten für meinen Haushalt. Das Gericht hat mir eine hohe Entschädigung von der Versicherung des Fahrers zugesprochen, der mich in den Rollstuhl gebracht hat. Ich verrate Ihnen das nur, damit Ihnen klar ist, dass ich meinem Bruder nie auf der Tasche gelegen bin. Sie sollten auch noch wissen, dass ich anfangs angeboten habe, das Geld von der Entschädigung in die Renovierung von Blackmoor Hall zu stecken. Erst als mir bewusst wurde, dass es bis unter die Dachrinne beliehen ist, habe ich einen Rückzieher gemacht. Komischerweise kann er mich seitdem noch weniger leiden als früher.
Was halten Sie von meinem Plan, in die Zukunft zu blicken? Ich habe mich erst zu achtzig Prozent dazu durchgerungen, glaube aber, dass es der richtige Weg ist.
Seit Sie weg sind, Em, fühle ich mich schrecklich einsam. Und nach dem Verkauf meiner »Kinder« hänge ich in der Luft. Natürlich könnte es sein, dass ich neue adoptiere …
Teilen Sie mir doch bitte, wenn Sie Zeit haben sollten, mit, was Sie von meinen Ideen halten – ich würde mich sehr freuen, von Ihnen zu hören.
Sie fehlen mir.
Alex xx
Emilie hatte keine Zeit, sofort zu antworten, weil sie und Anton zu Margaux’ Beisetzung mussten. Doch in der schönen mittelalterlichen Kirche Saint-Laurent in Gassin, in der sie Antons Hand fest in der ihren hielt, musste sie immerzu an die E-Mail von Alex denken.
Sie fehlen mir.
Nach der Trauerfeier kamen viele Leute aus der Gegend mit zu Jean und Jacques, wo sie den neuen Jahrgang der cave kosteten und für gut befanden.
Als die letzten Trauergäste gegangen waren, sah Emilie, dass Anton allein und ziemlich mitgenommen herumstand.
»Fang doch schon mal mit dem Packen an. Wir fahren bald nach Hause«, forderte Emilie ihn mit sanfter Stimme auf.
Antons Miene hellte sich ein wenig auf. »Ja, das mache ich.«
Als er nach oben schlich, tröstete sich Emilie damit, dass er nach diesem schrecklichen Tag immerhin das Gefühl haben konnte, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen.
Jean betrat die Küche. »Emilie, mein Vater lässt fragen, ob Sie zu uns in den Garten kommen wollen, solange Anton einpackt.«
»Natürlich.« Sie folgte Jean hinaus.
Jacques saß auf demselben Stuhl wie schon den ganzen Nachmittag.
»Setzen Sie sich, Emilie«, sagte er ernst. »Ich möchte mit Ihnen reden. Jean, bleib du auch da.«
Jean schenkte ihnen allen ein frisches Glas Wein ein und setzte sich neben Emilie.
»Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass nun der richtige Zeitpunkt gekommen ist, Ihnen zu sagen, wer Sophias Tochter ist. Und ich hoffe, dass Sie, wenn Sie es wissen, begreifen, warum ich bis jetzt gewartet habe.« Jacques räusperte sich.
»Nachdem Constance und ich Victoria ins Waisenhaus gebracht hatten und Constance nach England abgereist war, habe ich Édouard angefleht, es sich noch einmal zu überlegen«, begann Jacques. »Doch er ließ sich nicht erweichen und ist einige Tage später nach Paris zurückgekehrt. Ich hatte schreckliche Gewissensbisse, weil ich wusste, dass Sophia de la Martinières’ Kind nur wenige Kilometer entfernt im Waisenhaus war. Obwohl ich mir immer wieder einzureden versuchte, dass ich nicht für Victoria verantwortlich war, konnte ich sie nicht
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