was kam, versuchen, das Gute zu erkennen und das Böse zu vermeiden. Genau wie Jacques gesagt hatte …
Emilie ließ sich aufs Sofa fallen. Darüber würde sie morgen nachdenken. Wenn sie im kalten Licht des Morgens noch immer so fühlte wie jetzt, würde sie die E-Mail schreiben. Mit diesem Gedanken stand sie auf und ging ins Bett.
An:
[email protected] Von:
[email protected] Donnerstag
Lieber Alex,
danke für die E-Mail. Erstens: Ich weiß, was aus Band eins des Buches geworden ist! Er befindet sich nicht mehr im Besitz der de la Martinières, aber das ist eine lange Geschichte, die ich Ihnen persönlich erzählen möchte. Ich verrate Ihnen vorerst nur, dass das Buch einer Verwandten Sicherheit erkauft hat und ich mir keinen besseren Verwendungszweck dafür denken kann. Es freut mich, dass Sebastians Suche von Anfang an aussichtslos war und der Erlös aus dem Verkauf des Buchs einem höheren Zweck dienen konnte als seiner Gier.
Zweitens scheine ich ein Kind adoptiert zu haben, einen dreizehnjährigen Jungen namens Anton, und auch das ist eine ziemlich lange und komplizierte Geschichte.
Drittens: Würden Sie es im Hinblick auf Ihre Zukunft als nützlich erachten, wenn Sie Zeit erhielten, in Ruhe darüber nachzudenken? Mein gîte ist klein, doch alle Räume befinden sich auf einer Ebene, und ich verfüge über ein Gästezimmer. Zwar sind hier mehr Rebstöcke als Menschen, aber ich hoffe, dass Anton und ich Ihnen als Gesellschaft genügen.
Lassen Sie mich wissen, ob Sie kommen können. Dann wären wir drei Waisen!
Sie fehlen mir auch.
E xxx
An:
[email protected] Von:
[email protected] Liebste Em,
danke für die Einladung. Komme nächsten Montag um 13.40 Uhr am Flughafen von Nizza an. Bitte sagen Sie Bescheid, wenn Sie mich (und meinen Rollstuhl!) nicht abholen können. Ansonsten freue ich mich schon sehr auf Sie und natürlich auch auf Anton.
A xxx
PS: Gott sei Dank werden Sie mir nicht mehr lange fehlen. Jetzt muss ich mich nur noch darauf freuen, Sie zu sehen.
Das Leben in mir
Blindes Mühen, dich zu schützen,
Wissend, dass du in mir lebst.
Kind der Liebe, vollkommne Seele.
Du wirst alles sein, wonach du strebst.
Ich muss dir meinen Körper geben,
Neues Leben wächst darin heran.
Einst werden wir in Freiheit leben,
Kein Verstecken wird’s mehr geben.
Kind der Liebe bist du,
Die geleuchtet wie die helle Sonne.
Vom Vater erzähl ich dir,
Keine Angst, du kleine Wonne.
Die Kraft, die dich geformt,
Kann ich nicht erkennen,
Doch spür ich dich in mir,
Mein Kind darf ich dich nennen.
Sophia de la Martinières
Mai 1944
Epilog
Ein Jahr später
Emilie schloss die Eingangstür des Châteaus auf und öffnete sie weit. Anton half ihr, Alex’ Rollstuhl über die Schwelle und in den Eingangsbereich zu schieben, der abgesehen von einer Leiter an der Wand leer war.
»Wow«, rief Anton mit einem Blick an die Decke aus. »Jetzt wirkt alles viel größer.«
»Das macht die frische weiße Farbe«, erklärte Emilie, betrachtete den Boden und nickte anerkennend. »Sie haben den Marmor sehr schön restauriert. Es wäre schade gewesen, wenn man ihn nicht hätte retten können.«
»Ja«, pflichtete Alex ihr bei und blickte in Richtung Treppe. »Ich fürchte nur, dass der Treppenlift nicht ganz zur Eleganz des übrigen Ambientes passt.«
»Deswegen bist du hier.« Emilie zwinkerte Anton zu. »Wollen wir’s ihm zeigen?«
»Ja!«, antwortete Anton aufgeregt. »Folge mir.«
Er führte Alex durch hallende Flure an Räumen vorbei, in denen Chaos herrschte – es würde noch einige Monate dauern, bis die Innenarbeiten beendet wären –, in den hinteren Teil des Hauses und in den Vorraum zur Küche. Dort schob er Alex’ Rollstuhl vor eine Tür und drückte auf einen Knopf, worauf die Tür leise aufglitt.
Alex schaute hinein. »Ein Aufzug.«
»Genau, Monsieur Detektiv«, bestätigte Anton schmunzelnd. »Mein neues Lieblingsspielzeug. Wollen wir ihn ausprobieren?«
Als sie einstiegen und Anton die Tür per Knopfdruck schloss, wanderte Alex’ Blick zu Emilie. »Danke«, formte er mit den Lippen.
»Du musst dich nicht bedanken. Das Ding habe ich für mich einbauen lassen, wenn ich mal zu alt bin, die Treppe hochzugehen«, erklärte sie lachend. »Und für den Fall, dass du eine Weile bleiben willst.«
Der Satz war zu ihrem Standardscherz geworden. Alex war ein Jahr zuvor nach Frankreich gekommen, und obwohl sie keine Pläne für die Zukunft schmiedeten, hatten