Der Lavendelgarten
Romantiker, besonders Byron und Keats. Und sie kann zeichnen. Sie ertastet ihr Motiv und schafft es irgendwie, seine Form und Farbe aufs Papier zu übertragen. Sie ist künstlerisch begabt und das Wertvollste, was ich besitze.«
»Und sehr hübsch«, fügte Connie hinzu.
»Ja. Ist es nicht traurig, dass Sophia sich nicht selbst im Spiegel sehen kann? Männer, die sie kennenlernen, ohne etwas über ihre Behinderung zu wissen … Ich merke, welche Wirkung sie auf sie hat. Sie ist einfach großartig.«
»Ja, das stimmt.«
»Holen Sie jetzt Ihren Koffer und Ihre Papiere«, wies Édouard sie an. »Ich bin unruhig, solange sie sich hier befinden.«
Connie ging nach oben. Zehn Minuten später sah sie, wie ihre Identität in Flammen aufging. Den Inhalt ihres Koffers steckte Édouard in einen Sack. Dann deutete er auf ihre Schuhe.
»Die auch, Constance. Wir wissen beide, was sich im Absatz des einen verbirgt.«
»Aber ich habe nur diese Schuhe.«
»Sie bekommen neue«, versprach er.
Als Connie in Strümpfen in der Bibliothek stand, fühlte sie sich schrecklich wehrlos. Nun hatte sie nichts mehr als die Kleidung, die sie am Leib trug.
Édouard entfernte geschickt die Geldscheine, die im Futter des Koffers eingenäht waren, und reichte sie ihr. »Ein geringer Lohn der Briten und Franzosen für Ihre Mühen. Sophia und ich sorgen für Ihr leibliches Wohl, solange Sie hier sind. Selbstverständlich bekommen Sie nur das Beste. Sophia wartet oben auf Sie, um Sie ihrer Schneiderin vorzustellen. Noch eins …« Édouard verharrte an der Tür. »Es ist unwahrscheinlich, dass jemand versucht, Kontakt mit Ihnen aufzunehmen. Nur wenige Angehörige Ihrer Organisation wissen, dass Sie hier sind. Aber falls Ihr Aufenthaltsort doch bekannt werden sollte, dürfen Sie auf keinen Fall auf Nachrichten antworten. Haben Sie das verstanden?«
»Ja.«
»Sonst wäre das alles hier vergebens, und Sie würden viele Menschen in Gefahr bringen«, erklärte ihr Édouard mit eindringlichem Blick.
»Verstehe.«
»Gut. Gehen Sie jetzt bitte hinauf zu Sophia.«
12
Constance hielt sich nun seit einem Monat bei den de la Martinières auf und war mit eleganter Kleidung, Seidenstrümpfen und weichen Lederschuhen ausgestattet, wie sie sie seit Ausbruch des Krieges nicht mehr gesehen hatte. Connie seufzte über die bittere Ironie ihrer Situaton. Sie lebte wie eine Prinzessin in einem Haushalt, in dem Geld keine Rolle zu spielen schien und sie vom Personal bedient wurde. Doch der Luxus konnte Connie nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie letztlich eine Gefangene war. Sie sehnte sich nicht nur nach Lawrence, sondern quälte sich auch mit Gedanken an die tapferen Männer und Frauen, die mit ihr ausgebildet worden waren und sich jetzt in der Not bewähren mussten. Ihr schlechtes Gewissen ließ ihr keine Ruhe. In ihrem goldenen Käfig hatte Connie Angst, den Verstand zu verlieren.
Connies einziger Lichtblick war Sophia, die, durch ihre Blindheit besonders sensibel, sofort am Tonfall merkte, wenn Connie niedergeschlagen war.
Sophia, mit ihren fünfundzwanzig Jahren genauso alt wie Connie, wollte alles über Connies Leben in England erfahren. Aufgrund ihrer Behinderung war sie nie aus Frankreich herausgekommen. An einem heißen Julinachmittag beschrieb Connie ihr das düstere, aber auch schöne Hochmoor von Yorkshire und Blackmoor Hall, das Anwesen von Lawrences Familie.
Ein paar Tage zuvor hatte Connie Sophia an einem milden Sommerabend bei Sonnenuntergang gestanden, wie sehr ihr Mann ihr fehle. Daraufhin hatte Sophia ihr Fragen über Lawrence gestellt und sie getröstet.
Hinterher hatte Connie überlegt, ob sie zu viel erzählt hatte. Woher sollte sie wissen, ob die de la Martinières sie nicht als potenzielles Tauschobjekt für die Nazis sahen? Doch sie brauchte jemanden, mit dem sie reden konnte.
Und dann war zwei Tage zuvor Oberst Falk von Wehndorf unangemeldet vor der Tür gestanden. Sarah hatte Connie geholt, die mit Sophia in der Bibliothek saß.
»Besuch für Sie, Madame Constance«, hatte Sarah ihr mit einem warnenden Blick mitgeteilt.
Connie hatte genickt und war nervös in den Salon zu Falk gegangen.
»Fräulein Constance! Heute sind Sie noch hübscher als neulich.« Wieder hatte er ihr die Hand geküsst.
»Danke, Oberst, ich …«
»Den Vornamen, bitte«, war Falk ihr ins Wort gefallen. »Ich bin gerade zum Hauptquartier unterwegs und habe mir gedacht, ich würde gern der charmanten Cousine von Édouard einen Besuch abstatten und
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