Der Lavendelgarten
wusste, dass das eine rhetorische Frage war.
»Ich tue es, weil ich hin und wieder nach einem Gläschen Brandy zu viel von einem betrunkenen Deutschen eine kleine Information erhalte. Manchmal ermöglicht es mir diese Information, Leute, die sich in Gefahr befinden, zu warnen und so vielleicht Leben zu retten. Aus diesem Grund ertrage ich die Deutschen in meinem Haus.«
Connie begann zu begreifen.
»Deshalb«, fuhr Édouard fort, »darf es nie auch nur den kleinsten Hinweis auf meine Verbindung zu irgendeiner der Organisationen geben, die die Nazis auslöschen wollen. Das würde nicht nur zum Tod vieler mutiger Männer und Frauen führen, die mit mir zusammenarbeiten, sondern möglicherweise auch zum Verlust wertvoller Informationen. Ich mache mir weniger Sorgen um mein eigenes Leben, Constance, als um das von Sophia. Da sie mit mir in diesem Haus lebt, muss sie mein Doppelleben mitmachen. Wenn ich aufflöge, würde sie mit mir angeklagt werden. Also …« Édouard erhob sich, trat ans Fenster und sah hinaus in den Garten, den die Sonne in helles Licht tauchte. »Aus all diesen Gründen fürchte ich, dass Sie Ihre Laufbahn als britische Agentin nicht fortsetzen können.«
Die Wochen der Ausbildung, der mentalen und emotionalen Vorbereitung, konnten doch nicht umsonst gewesen sein?, dachte Connie.
»Verstehe. Und was wollen Sie nun mit mir machen?«, erkundigte sie sich schließlich.
»Das ist eine sehr gute Frage, Constance. Ich habe London bereits informiert, dass Sie bei mir sind. Dort müssen sofort alle Berichte über Ihre Ankunft in Frankreich vernichtet werden. Die wenigen, die von Ihrem Eintreffen hier wissen, werden informiert; mit ihnen dürfen Sie jedoch keinen Kontakt aufnehmen. Bitte bringen Sie mir Ihre Papiere, die wir gemeinsam im Kamin verbrennen. Und übergeben Sie mir außerdem Ihren Koffer, den ich für Sie vernichte. Es werden bereits neue Papiere für Sie vorbereitet. Ab sofort sind Sie einfach nur Constance Chapelle aus St. Raphaël und für die, die Sie schon kennengelernt haben, meine Cousine.«
»Was jetzt?«, fragte sie. »Werde ich nach England zurückgeschickt?«
»Noch nicht. Das wäre zu gefährlich. Ich kann nicht riskieren, dass Sie gefasst werden. Constance, ich fürchte, in den kommenden Wochen werden Sie die Rolle von gestern Abend weiterspielen müssen und als unser Gast in diesem Haus bleiben. Vielleicht können Sie irgendwann in den Süden, nach St. Raphaël, fahren, von wo aus wir versuchen würden, Sie nach England zurückzubringen. Aber vorerst sitzen Sie, nicht durch Ihre Schuld, hier mit uns in der Falle.«
»London hat dieser Vorgehensweise zugestimmt?«, fragte Connie ungläubig.
»Ihnen ist nichts anderes übriggeblieben.« Édouards Miene wurde sanfter. »Ich kann Ihren Wunsch verstehen, Ihrem Land zu dienen, und Ihre Enttäuschung darüber, dass Sie zur Untätigkeit verdammt sind. Aber glauben Sie mir, es hat seinen Sinn. Außerdem …«, er zuckte mit den Achseln, »… gibt es andere Möglichkeiten, uns zu helfen. Sie sind eine schöne Frau, die einen ausgesprochen mächtigen Mann sehr beeindruckt hat. Falk ist regelmäßiger Gast in diesem Haus. Man weiß nie, was er Ihnen vielleicht einmal verrät.«
Connie erschauderte.
»Sophia hat ihre Schneiderin informiert, die bald hier sein wird. Sie brauchen eine Garderobe, die einer Frau aus den Familien der Montaines und der de la Martinières angemessen ist. Sophia freut es, eine Gefährtin im Haus zu haben. Aufgrund ihres … Zustands verlässt sie das Haus nur selten. Sie ist einsam, und unsere Mutter fehlt ihr sehr. Sie könnten ihr Gesellschaft leisten«, schlug Édouard vor.
»Ist das Leiden angeboren?«, fragte Connie.
»Bei ihrer Geburt konnte Sophia noch ein wenig sehen, weswegen meine Eltern ihre Schwäche nicht sofort bemerkten. Ihre Sehkraft wurde nach und nach schwächer. Als sie das Ausmaß des Problems erkannten, war es schon zu spät, und die Ärzte konnten ihr nicht mehr helfen. Sophia hat sich mit ihrer Behinderung abgefunden. Sie kann schreiben, Gott sei Dank hat sie das vor ihrer Erblindung gelernt. Ihre Gedichte sind sehr anrührend.«
»Wie alt war sie, als sie das Augenlicht ganz verlor?«
»Sieben. Erstaunlich, wie sehr das ihre anderen Sinne geschärft hat. Sie hat ein ausgezeichnetes Gehör und erkennt die Menschen normalerweise am Schritt. Sophia liest gern; ich lasse gerade Bücher aus dieser und meiner Bibliothek in Gassin in Brailleschrift übertragen. Sie liebt die englischen
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