Der Lavendelgarten
Fabriken als Zwangsarbeiter zu schuften. Wir brauchen deine Hilfe! Du kennst sicher einen Ort, an den ich kann«, sagte sie verzweifelt. »Ich muss die Nachrichten heute Abend senden.«
Venetia hakte sich zögernd wieder bei Connie unter, und sie gingen schweigend weiter.
Connie kam sich vor, als wäre sie in einem Spinnennetz gefangen, dessen fein gewobene Fäden aus Wahrheiten, Lügen und Täuschungen überall- und nirgendwohin führten. Sie befand sich in einer moralischen Zwickmühle, weil sie nicht mehr wusste, wo ihre Loyalität lag oder wem sie vertrauen sollte.
Das Treffen mit Venetia holte sie zurück zu der Aufgabe, derentwegen sie nach Frankreich geschickt worden war. Und Venetias Hunger und ihre Verzweiflung verstärkten ihre Schuldgefühle und ihre Verwirrung.
»Du könntest in das Haus in der Rue de Varenne kommen, aber das ist nicht sicher«, erklärte Connie. »Wie du weißt, verkehren dort viele Deutsche.«
»Das wäre mir egal«, sagte Venetia. »Oft merken die Schweine nicht, was sich direkt vor ihrer Nase abspielt.«
»Venetia, das ist zu riskant. Und einen anderen Ort kenne ich nicht.«
Insgeheim überlegte Connie, dass Édouard am Abend nicht da wäre und dass eine separate Tür vom Garten in den Keller führte. Die hatte sie im Sommer bei Luftangriffen genutzt, wenn sie draußen gewesen war. Aber was, wenn es am Abend einen Luftangriff gab? Was, wenn jemand Venetia beobachtete, wie sie das Haus betrat oder verließ? Was, wenn einer der Wehndorf-Zwillinge unangemeldet auftauchte, ausgerechnet während Venetia aus dem Keller funkte?
»Con, ich bin mit meinem Latein am Ende. Ich habe keine Kraft mehr, mir Sorgen zu machen«, stellte Venetia seufzend fest. »In Paris existieren im Moment praktisch keine Safe Houses. Es müssen erst wieder welche gefunden werden. Niemand rechnet damit, dass eine britische Agentin vom Keller eines Hauses aus funkt, in dem bekanntermaßen Deutsche ein und aus gehen.« Venetia sah Connie an. »Bist du dir absolut sicher, dass du nicht übergelaufen bist?« Plötzlich musste sie lachen. »Na ja, wenn, bin ich sowieso so gut wie tot.«
Venetia forderte einen Beweis ihrer Loyalität. Connie fügte sich seufzend in das Unvermeidliche. Sie musste ihrer Freundin und ihrem Land beistehen, egal, was das für Folgen hatte.
»Also gut, ich helfe dir.«
Als Connie nach Hause kam, erklärte sie Sarah, sie habe beim letzten Luftangriff ein Buch im Keller vergessen. Sie schloss die Kellertür auf, die über Stufen zum Garten führte, und kehrte in den Salon zu Sophia zurück.
Als Sophia lächelnd ihre feingliedrigen Finger über eine Brailleversion von Byrons Gedichten gleiten ließ, hielt es Connie nicht länger in ihrem Sessel. Um halb sieben Uhr erklärte sie ihr, sie habe Kopfschmerzen und werde das Abendessen in ihrem Zimmer einnehmen.
Um acht Uhr ging sie wieder nach unten, um Sarah mitzuteilen, dass für den Abend keine Gäste erwartet würden und sie nicht mehr gebraucht werde. Sophia befand sich bereits in ihrem Zimmer. Connie lief unruhig in dem ihren auf und ab. Venetia hielt sich mit ziemlicher Sicherheit schon im Keller auf.
Von Gewissensbissen der armen Sophia gegenüber geplagt, die nicht ahnte, dass die Frau, die ihre Familie bei sich beherbergte, sie in Gefahr brachte, wartete Connie die folgende Stunde in schrecklicher Anspannung.
Um zehn Uhr schlich Connie hinunter. Sie wollte gerade zum Keller, um sich zu vergewissern, dass Venetia weg war, als sie leises Klopfen an der Haustür hörte.
Connies Herz setzte einen Schlag aus, als sie die Tür zum Eingangsbereich aufmachte und sah, dass die Haustür bereits von Sophia geöffnet worden war, die es irgendwie geschafft hatte, allein die Treppe herunterzukommen. Auf der Schwelle stand Frederik, die Arme um Sophia geschlungen. Connie wich in den Schatten zurück und überlegte, was sie tun sollte. Ihr war klar, dass die beiden dieses Treffen geplant hatten, denn zehn Uhr abends war keine übliche Besuchszeit, am allerwenigsten für einen Gentleman, der eine Dame allein aufsuchte. Connie fragte sich, ob sie sich größere Sorgen um Sophias Tugend oder darüber machen sollte, dass sich möglicherweise gleichzeitig eine britische Agentin und ein führender Nazioffizier im Haus aufhielten.
Am Ende gelangte Connie zu dem Schluss, dass es das Beste war, die beiden nicht zu stören. In Sophias Gesellschaft war Frederik beschäftigt.
Nachdem sie sie im Salon hatte verschwinden sehen, hastete Connie in ihr
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