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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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ich sie am Morgen, bevor ich aus dem Haus gehe, überwinde, indem ich eine Brille aufsetze.
    »Da heute der letzte Tag in der Werkstatt ist, können wir die Geschichte auf ein großes Blatt zeichnen, was haltet ihr davon?«
    Idra beugt sich nach vorn, lässt die Stirn auf die Bank sinken und schläft ein.
    »Das ist das neue Medikament«, erklärt mir die Kollegin und setzt das Mädchen wieder im Rollstuhl zurecht.
    Alle Menschen sind verschieden, Brillenschlange. Aber einige sind verschiedener als andere.
 
    Es kommen noch an die zehn Haltestellen, bis ich aussteigen muss. Der Bus hält an, nimmt neue Fahrgäste auf, fährt wieder los. Für den Fahrer eine sich täglich wiederholende Routine.
    Ich nehme die Brille ab. Die Personen um mich herum verlieren ihre Gesichtszüge, werden zu verwachsenen Ungeheuern. Sie können einem Angst machen.
    Ich setze die Brille wieder auf und erkenne Raffaele Correnti, den Physiklehrer aus dem Spezialisierungsseminar, auf dem Bürgersteig. Er ist dick geworden und hat etliche Haare verloren. Er trägt einen kleinen Koffer, hebt und senkt das Handgelenk, um auf seine Armbanduhr zu schauen, heftet den Blick auf den gelben Fahrplan.
 
    Am Montag müssen wir mit der Odyssee beginnen.
    »Guten Morgen«, sagt Meriem.
    Durch einen Blick auf die Mädchen wird mir klar, dass eine Art Versammlung stattgefunden hat, es gab ein Vertrauensvotum.
    Silvia gibt das Startzeichen für das morgendliche Prozedere mit dem Versprechen, nicht abzufragen. Der Frühling steht vor der Tür, und wir erwarten uns davon etwas Gutes, auch wenn es bis jetzt noch nicht zu sehen ist.
    Die Schritte im Flur kündigen Andreas Ankunft an. Ich hole die illustrierte Ausgabe der Odyssee hervor, stecke die Begleitbögen hinein, warte auf ihn.
    »Beginnen wir mit der Vorrede«, sagt Silvia. Lorenzoliest die Anrufung der Muse vor, und wir hören ihm zu, bis er zum Ende kommt, die Missgeschicke des Odysseus aufzählt, darunter den Fluch, der über seine gottlosen Gefährten hereinbrach, die unheilvolle Heimkehr nach Ithaka.
    Die Tür ist noch immer geschlossen, vom Flur kein Laut mehr zu vernehmen.
    Ich nehme meine Tasche und gehe hinaus, verscheuche alle Vorahnungen.
    Das Erste, was ich sehe, ist Riccardis Rucksack, der auf dem Fußboden liegt. Den Kopf gesenkt, steht Andrea vor der Wand und betastet sie mit der rechten Hand, als wolle er testen, wie kompakt, stark und unbeweglich sie ist.
    Ganz langsam gehe ich ihm entgegen. Er hebt die andere Hand, führt sie auf Höhe der rechten. Dann springt er hoch, kommt mit den Fingerspitzen noch ein Stückchen höher und fällt auf den Boden zurück.
    »Scheiße!«, brüllt er und versetzt der Wand einen Tritt.
    »Hey«, begrüße ich ihn.
    Im selben Moment taucht plötzlich Signora Maria am Ende des Flurs auf.
    »Hey«, stößt er hervor, sucht seine Hände nach etwas ab, das er nicht findet. Er hebt den Fuß und presst die Schuhsohle gegen die Mauer, lässt sie bis zum Boden gleiten.
    »Gehen wir in die Klasse? Wir haben heute noch Großes vor.«
    Er folgt mir, stürzt sich auf seine Jacke und den Rucksack und reißt beides hoch.
    »Was hast du denn da gemacht?«
    Andrea antwortet nicht, erreicht die Tür, stößt sie mit beiden Händen auf, bleibt kurz stehen.
    »Spiderman«, sagt er und rennt dann zu seinem Platz.
    Ich drehe mich um und werfe der Hausmeisterin einen Blick zu. Sie ist noch da, die einzige Zeugin meines soeben erhaltenen Vertrauensbeweises.

14
    Es muss eine Art American Diner sein. Den musikalischen Hintergrund bilden aktuelle Hits, die zu einem einzigen Stück zusammengeflickt wurden.
    Ganz hinten sitzt Gianni allein an einem von diesen roten Plastiktischchen, die zum Sonntagsausflug in den Pinienwald mitgenommen werden. Er ist hier, weil ich ihn angerufen habe.
    Ich muss ihn nur erreichen, und wir werden gemeinsam zurückkehren. Ich werde mich zu ihm setzen, seine Hand nehmen, ihn bitten, noch einmal von vorn anzufangen. Ich werde ihm von dem anderen erzählen.
    Es wird unangenehm und peinlich sein, ich werde ihn fest an mich drücken müssen, damit er nicht weggeht. Er wird bleiben, weil er nachsichtig ist: Er wird mir Zeit lassen, damit ich meine restlichen Verpflichtungen erledigen kann, ehe wir zusammen nach Hause zurückkehren.
    Ich bahne mir einen Weg zwischen den Leuten hindurch, die im Lokal umhergehen oder regungslos um die Tischchen herumstehen, sie umzingeln.
    Gianni lächelt mir zu, und ich setze mich. Ich sage ihm nichts.
    Nach einer endlosen

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