Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
berührt.
»Schau«, sagt er und richtet den schlammigen Blick des Minotaurus auf sie. Meriem bleibt regungslos sitzen, wie versteinert.
Andrea fuchtelt ihr mit dem Ungeheuer an der Nase herum.
Ach bitte, jetzt schau doch mal.
»Er ist toll«, sagt plötzlich jemand. Es ist Petar. Er steht auf, überreicht mir den fertigen Naturkundetest und nimmt dann Andrea ganz vorsichtig den Kopf mit dem Torso aus den Händen. »Wirklich toll. Glückwunsch.«
»Zum Teufel!« De Lucia zerreißt die Seite, die er soeben ausgedruckt hat. »Sie sollen uns diese Erzieher schicken, und fertig: Dies ist ein Hilferuf.«
»So ist es, Clara. Zuerst haben sie einen einzigen Lehrer in der Grundschule gehabt und jetzt wollen sie sogar die Studienräte an den Gymnasien wegkürzen.«
»Ja, ich weiß. Auch Augusto, Dalias Enkel, hatte im vergangenen Jahr Latein. Und dieses Jahr nicht mehr.«
»Aber doch nur, weil sie ihn in eine andere Schule gesteckt haben, nachdem er in der öffentlichen zweimal durchgefallen ist.«
Die beiden beugen sich über ihre Taschen, um den Lärm der Straßenbahn zu übertönen.
»Jeden Tag was Neues«, sagt die eine und blickt aus dem Fenster.
»Wie auch immer, wir sind alle Schüler einer einzigen Lehrerin und sind damit sehr weit gekommen«, erwidert die andere. Clara späht nach dem Namen der Haltestelle, dann erinnert sie sich daran, ihrer Freundin beizupflichten.
Ich kann es schaffen, sage ich mir. Der kleine Platz vor der Schule ist wie ausgestorben, was mich entmutigt: Offenbar bin ich heute die Einzige, die zu spät kommt.
Zum Glück bilde ich mir das nur ein, denn ich sehe den Rücken von Petar, der hinter einer Parkbank hervorkommt. Er schaut sich um, läuft zwischen den Wippen hindurch, schlüpft unter die Rutschbahn, verschwindet in der Holzhütte und taucht dann mit der weißen Plastikmappe wieder auf.
Ich warte am Tor auf ihn.
»Alles in Ordnung?«
Ich lasse ihn kurz zu Atem kommen, packe ihn dann am Arm und ziehe ihn hinter mir her.
»Gehen wir, heute ist die Werkstatt dran. Wir kommen zu spät.«
»Nein. Heute komme ich nicht.«
»Wie? Warum nicht?«
Er blickt auf seine Schuhe.
»Ich muss eine Hausaufgabe abgeben«, lügt er. Ich beschließe, es mir nicht anmerken zu lassen.
»Ja, am Ende des Kurses: über Zanna Bianca .«
Jetzt kommen wir in jedem Fall zu spät.
»Wie willst du das machen, wenn wir die Geschichte nicht weiterlesen?«
»Ich habe sie allein zu Ende gelesen. Die Hausaufgabe habe ich mitgebracht.«
»Na schön. Dann geh.«
Er nickt, überholt mich und betritt die Bibliothek, wo einige seiner Mitschüler die Freistunde verbringen. Als ich an der Tür vorbeigehe, höre ich, wie sie lachen und einen spastischen Petar nachäffen, der nicht mehr weiß, wo er die Mappe gelassen hat.
Der Naturkundetest ist sehr gut ausgefallen, wir haben uns eine gute sieben verdient. Ich schreibe sie mit Bleistift an den oberen Rand, und als Petar eintritt, stehe ich auf, um sie ihm zu zeigen.
Er streckt die Hand danach aus.
»Nein, mein Lieber«, entgegne ich und lege das Blatt weg. »Die Naturkundelehrerin wird ihn dir in der Klasse geben. Tu so, als wärst du überrascht.«
»Ok.«
»Hast du mir den Aufsatz über Italien mitgebracht?«
Vor vier Jahren bist du nach Italien gekommen: Erzähle einem Freund in Rumänien, wie man hier lebt, und erkläre bei jeder Eigenart, die du beschreibst, ob sie dir gefällt und warum.
Die Tür öffnet sich, Mattia steckt den Kopf herein, sieht uns und kommt herein. Obwohl nun die Pause beginnt, bleiben wir drei in Klassenzimmer 9.
»Hallo«, grüßt Mattia.
Petar kehrt ihm den Rücken zu.
»Drehen wir eine Runde?«
Ich hebe den Blick nicht von Petars Aufsatz. Am äußersten Rand meines Gesichtsfelds verlagert Petar nervös sein Gewicht von einem Bein aufs andere, klammert sich an seinen Rucksack.
»Nein«, antwortet er.
Rasch überfliege ich den Aufsatz, während er im Bücherregal herumstöbert und Mattia ihm quasselnd folgt.
»Nimm es, wenn es dir gefällt«, sage ich nach einer Weile.
Petar zuckt mit den Schultern und blättert weiter in Dylan Dog . Mattia weicht nicht von seiner Seite, versteckt sich aber sofort hinter ihm, als Meriem das Zimmer betritt.
Sie kommt zu mir ans Fenster.
»Wir müssen mit Ihnen reden wegen der gemischten Werkstätten. Wir wollen nicht mehr mitmachen.«
Gemischt. Genial!
Ich heuchle Überraschung. »Warum?«
Sie starrt mich mit ihren riesigen dunklen Augen an und beißt sich auf die
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