Der Leibarzt der Zarin
war ein schneller Tod, aber bevor er eintrat, war Pritschew schon hundertmal vor Angst gestorben.
Was von ihm übriggeblieben war, sammelte Sabotkin auf und trug es hinunter zu Blattjew. Trottau lief mit Xenia voraus, und schon von weitem, bevor sie die Wohnung erreicht hatten, rief Xenia: »Väterchen! Mütterchen! Sie haben mir das Leben gerettet! Er fiel über mich her wie ein Wolf, als ich in der Sonne lag …«
Blattjew umarmte Trottau, küßte Sabotkin auf die Stirn und spuckte den Leichnam an.
»Wer war es?« fragte Massja.
»Fürst Pritschew.«
»Oh, dieses Unglück! Der Freund des Zaren!«
»Es ist eure Aufgabe, ihn für immer verschwinden zu lassen«, sagte Sabotkin. »Er darf nie mehr gefunden werden. Wir haben es für Xenia getan.«
Blattjew nickte. Er nahm Sabotkin den Toten ab und trug ihn weg. Trottau kannte den Weg, den Blattjew ging, und wandte sich schaudernd ab.
Die Bären …
Sie würden von Pritschew wenig übrig lassen, und die paar Knochen würde Blattjew wegräumen, wie er die meisten Knochen all derer weggeräumt hatte, die vor den Augen des Zaren hier unten zerfleischt worden waren.
12
Zwei Tage und zwei Nächte blieb der Zar mit seinem Gefolge in den Wäldern. Er schlief in den hölzernen aber pompösen, mit Schnitzereien und bunten Malereien geschmückten Landhäusern und Jagdschlössern von zwei Bojaren. Am zweiten Tag aß er zu Mittag bei einem Sohn der reichsten Familie von Rußland – dem Kaufherren Stroganoff. Der Zar erhielt als Geschenk einen knöchellangen Ottermantel der seltensten Farbe – dunkelbraun, fast schwarz, und glänzend wie Seide. Iwan lobte die Stroganoffs, erhielt von ihnen die Zusage, für den Krieg gegen seinen Erzfeind, den König Sigismund August von Polen, dreißigtausend Rubel Kredit zu bekommen, und riß dann in dem prunkvollen Schlafzimmer von Boris Stroganoff Marja in die Arme.
Er fühlte sich stark, der Zar. Er hatte tatsächlich einen Bären mit der Lanze erlegt, einen Riesen von einem Bär, dem Iwan die stählerne Spitze genau ins Herz gestoßen hatte, als sich das Untier aufrichtete und sich auf den Zaren stürzen wollte.
Marja, von einem Ring waffenstarrender Strelitzen umgeben, hatte in die Hände geklatscht und Iwan den mutigsten Mann unter der Sonne genannt. Jetzt machte sie ihn doppelt glücklich, indem sie in seinen Armen meisterhaft die Unterlegene spielte.
»Du tötest mich, Iwanuschka!« stammelte sie atemlos. »Ich bin wie zerbrochen … O du Herrlichster aller Menschen … du könntest einen Wüstensturm besiegen.«
Doch während sie das sagte, dachte die Zarin an den deutschen Arzt. In der vergangenen Stunde hatte sie alles mit geschlossenen Augen ertragen. Alle Küsse, alle Umarmungen, alle lodernden Feuer in ihrem Körper galten nur ihm, dem blonden Bären. Und es war nicht Iwan, der Marja besiegte, sondern Andrej Danielowitsch Trotkin, wie sie Trottau nannte. Er war es, der sie in ihrer Phantasie umschlungen hielt und der alle Glückseligkeit in ihr entfachte.
Nur mit diesem Selbstbetrug ließ sich Iwan ertragen. Als Marja die Augen wieder öffnete und den Zaren ansah, diesen vogelähnlichen Kopf mit der Hakennase, dem spitzen Bart und den funkelnden, grausamen, im Wahnsinn schwimmenden Augen, wußte sie, daß sie in ihrem Leben nur einen Mann geliebt hatte und lieben würde: den schönen, stolzen Arzt, der wie eine zweite Sonne an ihrem Himmel erschienen war.
Das Glück hatte den Zaren verwandelt. Er belohnte Boris Stroganoff mit einem Geschenk. Er vermachte ihm riesige Ländereien jenseits des Urals, die nur einen Nachteil hatten: Sie mußten noch erobert und erforscht werden. Man wußte von der Unendlichkeit hinter der Felsenbarriere, von dem unermeßlichen Reichtum in den Wäldern und Sümpfen. Einzelne Reiter oder umherziehende Mönche erzählten Wunder von diesem Land. Aber es war noch jungfräulicher Boden, und drei Forschergruppen, die Iwan ausgesandt hatte, waren nie wiedergekommen. Sibirien hatte sie verschlungen …
Ein fröhlicher Zar kehrte an der Seite Marjas nach Moskau zurück. Selbst die Meldungen aus Livland und Polen, aus Deutschland und Ungarn konnten ihn nicht verärgern. »Wir werden sie alle niederschlagen!« rief er seinen verantwortlichen Ministern zu. »Man soll schon die Särge zimmern. Einen für den König von Polen, einen für den deutschen Kaiser, einen für den König von Ungarn und einen für den Anführer der livländischen Ritter! Ich will die Särge auf meinen Feldzügen mitnehmen und
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